Notvorstand? Eine Frage des Einzelfalls!

Ob die Notbestellung eines Vertretungsorgans nach § 29 BGB durch das Registergericht gerechtfertigt ist, ist stets anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Zwei aktuelle OLG-Urteile zeigen, wie unterschiedlich die Antwort ausfallen kann.


In einem Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf hatte der Beschwerdeführer die gerichtliche Bestellung eines Notvorstands für einen Verein begehrt, von dem er im Vollstreckungsverfahren die Herausgabe eines Sparbuchs forderte. Da drei von vier Vorstandsmitgliedern des Vereins zurückgetreten waren, sei dieser mangels satzungsmäßiger Einzelvollmacht nicht mehr handlungsfähig. Das Registergericht lehnte den Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass die Herausgabe eines Sparbuchs als einfache Vollstreckungsmaßnahme keine ordnungsgemäße Vertretung des Vereins erfordere.

Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte vor dem OLG Düsseldorf Erfolg. Dieses entschied mit Beschluss vom 2. August 2024 –3 Wx 123/24, dass sehr wohl eine ordnungsgemäße Vertretung im Rahmen der Zwangsvollstreckung erforderlich der Verein tatsächlich ohne gesetzliches Vertretungsorgan sei. Ferner sei nach den konkreten Umständen des Falls nicht zu erwarten, dass dieser Mangel innerhalb einer für den Beschwerdeführer angemessenen Frist behoben werden würde. Es sei aus tatsächlichen Gründen nicht davon auszugehen, dass die Mitgliederversammlung in einem zumutbaren Zeitraum über eine Neubesetzung der Vorstandspositionen entscheiden wird, um so die Handlungsfähigkeit des Vereins wiederherzustellen, denn nach Lage der Dinge sei nicht zu erwarten, dass es den Vereinsmitgliedern gelänge, das verbliebene Vorstandsmitglied zur Einberufung einer Mitgliederversammlung zwecks Vorstandsneubestellung einzuberufen, da es derartige Anliegen ignorierte. Somit sei die Bestellung eines Notvorstands erforderlich.

Schließlich bedürfe es auch für die Herausgabe des Sparbuchs einer ordnungsgemäßen Vertretung des Vereins, zum Beispiel, um Zugang zu den Vereinsräumen zu verlangen, oder bei Nichtauffinden des Sparbuches hinsichtlich des im Zivilrechtsweg geltend zu machenden Auskunftsverlangens. Zustellung der Klage und Vollstreckung des Urteils bedürften eines Vertretungsorgan des Vereins. Die Voraussetzungen für eine gerichtliche Bestellung eines Notvorstands nach § 29 BGB lägen demnach vor.

Anders entschied dagegen das OLG Karlsruhe mit Beschluss vom 16. Juli 2024 –19 W 29/24 (Wx), das die gerichtliche Notbestellung eines weiteren Vorstandsmitglieds im Vereins nach § 29 BGB für den Fall ablehnte, dass ein weiteres Vorstandsmitglied zur Verfügung steht. Vereinsinterne Streitigkeiten genügten nicht, um einen gerichtlichen Eingriff erforderlich zu machen.

Im zugrunde liegenden Fall hatten die Mitglieder eines Golfclubs in der Rechtsform des Vereins beim Registergericht die Bestellung eines weiteren Vorstandsmitglieds neben dem alleinigen Vorstandsvorsitzenden beantragt. Laut Satzung setzt sich der Vorstand aus dem Vorsitzenden und dem stellvertretenden Vorsitzenden zusammen, allerdings besteht Einzelvertretungsberechtigung. Die Satzung des Vereins sah vor, dass die Mitgliederversammlung nur beschlussfähig ist, wenn unter anderem mindestens zwei Vorstandsmitglieder anwesend sind. Die Vereinsmitglieder beantragten die gerichtliche Notbestellung eines weiteren Vorstandsmitglieds unter Verweis auf die aktuelle Beschlussunfähigkeit der Mitgliederversammlung sowie auf den Umstand, dass der Vorstandsvorsitzende eine ordnungsgemäße Geschäftsführung verweigere und keine Mitgliederversammlung ordnungsgemäß einberufe, da er bei der Einladung eine Vielzahl von Mitgliedern nicht eingeladen habe. In der Sitzung selber habe der Vorstandsvorsitzende die Beschlussunfähigkeit der Mitgliederversammlung festgestellt und sei zurückgetreten unter der Ankündigung, bis zur nächsten Mitgliederversammlung die Geschäfte des Vereins kommissarisch zu führen. Das Registergericht wies den Antrag auf Notbestellung eines Vorstands zurück. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde blieb erfolglos.

Das OLG Karlsruhe folgte dem ablehnenden Beschluss des Registergerichts und verwies darauf, dass wegen der Einzelvertretungsberechtigung des Vorstands bereits die Voraussetzungen für § 29 BGB nicht vorlägen. Auch habe der Vorstandsvorsitzende seinen Rücktritt aufschiebend bedingt bis zur nächsten Mitgliederversammlung erklärt und sei daher noch im Amt. Hinsichtlich vereinsinterner Streitigkeiten seien die in der Satzung geregelten Instrumente anzuwenden. Ferner könnte die Mitgliederversammlung über § 37 Abs. 2 BGB eine Einberufung erwirken, wonach das Amtsgericht die Mitglieder, die ein Einberufungsverlangen gestellt haben, zur Berufung der Versammlung ermächtigen kann, wenn ihrem Verlangen nicht entsprochen wird. Auch sei die Satzung hinsichtlich der Beschlussfähigkeit dahingehend ergänzend auszulegen, dass die Regelung eine planwidrige Regelungslücke für den Fall enthalte, wenn nur noch ein Vorstandsmitglied vorhanden ist. In diesem Fall dürfe die Mitgliederversammlung nicht beschlussunfähig werden. Nach Sinn und Zweck der Satzung sowie in Anbetracht der herausgehobenen Stellung der Mitgliederversammlung als oberstem Organ des Vereins müsse auch die Anwesenheit des einzeln verbliebenen Vorstandsmitglieds ausreichen. Die Regelung diene nämlich nur dazu, dass die Vorstandsmitglieder über ihre Tätigkeit berichten und Stellungnahmen abgeben, nicht aber zu einer „Lahmlegung“ der Mitgliederversammlung in bestimmten Konstellationen. Die Notbestellung eines Vorstandsmitglieds nach § 29 BGB als Ultima Ratio sei daher hier nicht geboten.
 

Fazit

Ob und wann ein Notvorstand bestellt werden muss, ist eine Frage des Einzelfalls – hier sind viele Aspekte zu berücksichtige. Insbesondere ist zu prüfen, ob es andere Mechanismen gibt, die vorrangig zu nutzen sind. Außerdem wird man in solchen Fällen nach „Sinn und Zweck“, oder besser: mit „Sinn und Verstand“ argumentieren können und die eine oder andere zunächst offensichtliche Hürde einer Satzung mit der Argumentation, dass eine planwidrige Regelungslücke besteht, nehmen können. Letzteres kann natürlich dann weitere Streitigkeiten und eine gewisse Rechtsunsicherheit nach sich ziehen. Daher sollten Satzungen entsprechend geprüft und gegebenenfalls Unklarheiten beseitigt werden, damit es erst gar nicht zu solchen problematischen Situationen kommen kann.

Autor
Autor

Weitere Artikel, die Sie interessieren könnten

phone
mail Pfeil weiß