Der Fall
Die Beklagte, ein Unternehmen der Automobilindustrie, beschloss, ein Entwicklungszentrum auf eine andere Gesellschaft (im Folgenden: die Übernehmerin) zu übertragen. In Vorbereitung dieser Übertragung traf die Beklagte personelle und organisatorische Maßnahmen in zwei ihrer Betriebsstätten, indem sie Betriebsmittel entsprechend zuordnete, Personal (darunter den Kläger) versetzte und innerhalb der Betriebsstätten räumliche Abgrenzungen vornahm. Darüber hinaus wurden vor der Übertragung eigenständige Leitungsstrukturen in dem betroffenen Bereich geschaffen. Im Juli 2019 informierte die Beklagte die betroffenen Arbeitnehmer darüber, dass das Entwicklungszentrum und damit ihre Arbeitsverträge ab dem 30. August 2019 auf die Übernehmerin übergehen werde.
Im September 2020 machte der Kläger gerichtlich geltend, dass sein Arbeitsverhältnis weiterhin mit der Beklagten bestehe. Der Kläger führte aus, dass kein Betriebsübergang vorgelegen habe, da keine übergangsfähige wirtschaftliche Einheit übertragen wurde, bzw. dass seine Versetzung in diese Einheit rechtswidrig gewesen sei. Darüber hinaus sei er fehlerhaft über den Betriebsübergang unterrichtet worden, sodass er auch nach über einem Jahr (statt innerhalb eines Monats) noch einen Widerspruch zu einem etwaigen Betriebsübergang erklären durfte. Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis weiterhin mit der Beklagten bestehe. Während seine Klage vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht Hessen erfolglos geblieben war, hob das Bundesarbeitsgericht auf dessen Revision das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen auf und verwies den Rechtsstreit zurück. Grund für die Zurückverweisung war zwar im Ergebnis nur die Frage, ob die Versetzung des Klägers von Weisungsrecht des Arbeitgebers gedeckt war; interessanter sind jedoch die Ausführung des BAG zu den nachstehenden Gesichtspunkten:
Zuordnung zu einem Betriebsteil
Zunächst stellt das BAG fest, dass das übertragene Entwicklungszentrum eine hinreichend organisierte, abgrenzbare und selbständige Einheit war, die eine wirtschaftliche Tätigkeit mit eigenem Zweck verfolgte und insofern einen übertragungsfähigen Teilbetrieb darstellte. Dass diese Einheit erst etwa einen Monat vor dem Betriebsübergang durch entsprechende Maßnahmen der Beklagten gebildet worden war, war aus Sicht des 2. Senats unerheblich, da kein rechtsmissbräuchliches Verhalten des beklagten Unternehmens festgestellt werden konnte. Entgegen der Auffassung des Klägers schützt die Regelung des § 613a BGB nicht vor einer Versetzung vor einem Betriebsübergang, sondern lediglich vor einer ungewollten Auswechslung des Vertragsarbeitgebers. Etwas anderes könne sich nur dann ergeben, wenn ein Arbeitnehmer vor einer (Teil-)Betriebsübertragung nicht entsprechend zugeordnet werde und dann in einem wirtschaftlich nichts lebensfähigen Restbetrieb verbliebe.
Unbeachtlichkeit von Fehlern im Informationsschreiben
Für die Praxis bedeutender sind die Ausführungen des BAG in Bezug auf das Informationsschreiben an die Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 5 BGB. Ist ein solches Informationsschreiben fehlerhaft, wird die Widerspruchsfrist von einem Monat des betroffenen Arbeitnehmers gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht in Gang gesetzt. In der Folge kann ein Arbeitnehmer gegebenenfalls noch Jahre später den Widerspruch erklären und sich dann auf ein Fortbestehen seines Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebsveräußerer berufen. Vorliegend machte der Kläger geltend, dass aus dem Schreiben nicht ersichtlich gewesen sei, welche Geschäftstätigkeit durch die Übernehmerin ausgeübt werde und welche Geschäftstätigkeit demgegenüber der Konzernobergesellschaft zuzuordnen sei. Auch sei fehlerhaft über ein Fortbestehen eines Übergangsmandates des Betriebsrates informiert sowie suggeriert worden, dass eine tarifvertragliche Verpflichtung zur Einrichtung eines Arbeitszeitkontos bestehe.
Das BAG kam hingegen zu dem Ergebnis, dass ein Informationsschreiben im Sinne des § 613a Abs. 5 BGB lediglich die wesentlichen Tatsachen des Betriebsübergangs darstellen muss. Der Arbeitnehmer muss nicht über alle ihn möglicherweise treffenden individuellen Folgen des Betriebsübergangs informiert werden. Vielmehr soll der Arbeitnehmer in die Lage versetzt werden, bei weitergehenden Fragen sachkundigen Rechtsrat einzuholen. Eine Unterrichtung über komplexe Rechtsfragen sei dann nicht fehlerhaft, wenn der Arbeitgeber nach angemessener Prüfung der Rechtslage eine rechtlich vertretbare Position einnimmt. Im vorliegenden Fall betraf dies die – im Einzelfall schwierig zu beurteilende – Frage des Fortbestehens eines Übergangsmandates des Betriebsrats.
Fazit
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts stellt einerseits klar, dass eine betriebliche Einheit auch dann übergehen kann, wenn sie erst kurz vor dem Betriebsübergang durch innerbetriebliche Maßnahmen gebildet wurde. Für die Praxis relevanter sind jedoch die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zum Mitarbeiterinformationsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB. Sinn des Informationsschreibens ist es, den Arbeitnehmer in eine verständige Position zu bringen, um darüber entscheiden zu können, ob er dem Übergang auf einen neuen Arbeitgeber – gegebenenfalls nach Einholung sachkundiger Beratung – widerspricht. Wenngleich die Entscheidung keinen Freibrief für nachlässige Unterrichtungsschreiben darstellt, können Betriebsübergeber und Betriebsübernehmer insofern etwas aufatmen, als nicht mehr jede juristische Ungenauigkeit zu einer Unwirksamkeit der Arbeitnehmerinformation führt und infolgedessen die Widerspruchsfrist nicht in Gang setzt. Da der Inhalt eines solchen Informationsschreibens jedoch nach wie vor richtig und vollständig sein muss, empfiehlt sich regelmäßig eine juristische Begleitung von Betriebsübergängen.