Risiken für die Wirksamkeit von Beschlüssen und Wahlen einer Mitgliederversammlung
Ab und an haben sich Gerichte mit Fragen zu beschäftigen, deren Beantwortung trotz rechtlicher Selbstverständlichkeit ein Schlaglicht auf die Schwierigkeiten wirft, die das Recht in der alltäglichen Anwendung bereiten kann. So auch in einem Fall, den das Kammergericht Berlin (KG, Beschluss vom 23. Mai 2020 – 22 W 61/19) zu entscheiden hatte.
Was war geschehen? Die Satzung eines eingetragenen Vereins regelte zu Abstimmungen und Wahlen: „Die Mitgliederversammlung fasst ihre Beschlüsse mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen.“ Nach Durchführung einer Vorstandswahl wurde die Eintragung der neuen Vorstandszusammensetzung zum Vereinsregister angemeldet. Zum Nachweis wurde das Beschlussprotokoll eingereicht. Darin war unter anderem festgehalten, dass Herr L. mit 79 Ja-Stimmen und Frau S. mit 74 Ja-Stimmen gewählt worden seien, dies bei 172 stimmberechtigten Stimmen.
Angaben zu Gegenstimmen oder Enthaltungen enthielt das Protokoll nicht. Die Eintragung wurde durch das Registergericht prompt verweigert. Es verwies darauf, dass bei 172 (abgegebenen) Stimmen jeweils 87 Ja-Stimmen für eine Wahl erforderlich seien, sofern es keine Stimmenthaltungen gegeben habe. Um das Vorliegen einer wirksamen Wahl zu begründen, erklärte der Verein daraufhin, die Bedeutung des rechtlichen Begriffs der „einfachen Mehrheit“ sei für die Vereinsmitglieder die der „relativen Mehrheit“.
Weder vor dem Registergericht noch vor dem Kammergericht war dieser Argumentation Erfolg beschieden. Die begehrte Eintragung konnte auf Basis des festgestellten Sachverhaltes nicht erfolgen, denn aus dem eingereichten Protokoll ergab sich nicht, ob die Wahl mit der notwendigen einfachen Mehrheit der Stimmen erfolgt war.
In seiner Begründung setzte sich das Kammergericht mit dem Unterschied zwischen „einfacher“ und „relativer“ Mehrheit auseinander. Verantwortlichen Sitzungsleitern ist dieser in der Praxis häufig nicht völlig klar. Die einfache Mehrheit entspricht der absoluten Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Um eine „einfache Mehrheit“ zu erreichen, bedarf ein Beschluss oder eine Wahl der aktiven Zustimmung durch eine Anzahl von Stimmen, welche die ablehnenden oder die Summe abweichend votierender Stimmen um wenigstens eine Stimme überschreitet. Enthaltungen bleiben dabei außer Betracht, es sei denn, aus der Satzung ergäbe sich diesbezüglich etwas anderes.
Beispiel Beschlüsse und Wahlen einer Mitgliederversammlung
Sind in der Versammlung 100 Stimmen vertreten, von denen 50 für den Kandidaten A und 50 für den Kandidaten B stimmen, ist keiner gewählt. Enthält sich ein Teilnehmer und erhält Kandidat A infolgedessen 50 Stimmen, Kandidat B aber nur 49, so ist Kandidat A gewählt. Treten drei Kandidaten in einem Wahlgang an (A, B, C), und erhalten die Kandidaten A und B jeweils 30 Stimmen, Kandidat C aber 40 Stimmen, so ist Kandidat C gleichwohl nicht gewählt. Auch in diesem Fall bedürfte eine Wahl bei Ausbleiben von Enthaltungen wenigstens der Zustimmung von 51 der 100 teilnehmenden Stimmen.
Anderes würde gelten, wenn die Satzung die relative Mehrheit für die Wahl genügen lassen würde. In diesem Fall gälte der Kandidat als gewählt, der im Vergleich zu den anderen Mitgliedern schlicht die meisten Stimmen auf sich vereint. Erhielten die Kandidaten A und B jeweils 33 Stimmen, Kandidat C aber 34 Stimmen von 100, wäre C mit relativer Mehrheit gewählt.
Nach dem KG hatte die mögliche Interpretation des Begriffs der einfachen Mehrheit als relative Mehrheit durch die Mitglieder unter jedem der erwogenen Gesichtspunkte außer Betracht zu bleiben. Ordne die Satzung einfache Mehrheit an, sei streng nach den obigen Maßgaben zu verfahren. Etwas großzügiger äußerte sich in der Vergangenheit das Oberlandesgericht München (Urteil vom 19. Mai 2010 – 20 U 1695/10). Dort wurde die Möglichkeit, bei mehr als zwei Wahlalternativen die einfache Mehrheit als relative Mehrheit zu verstehen, durch Auslegung der Satzung anerkannt.
Beschlüsse auf Mitgliederversammlungen Fazit
Nachlässige Protokollführung kann sich rächen. Im hier besprochenen Fall mag es sein, dass die Kandidaten tatsächlich die einfache Mehrheit erreicht hatten. Das ließ sich mangels Protokollierung der Enthaltungen aber nicht nachvollziehen. Regelmäßig sollten in das Protokoll der exakte Beschlusswortlaut und die präzise Anzahl der Ja- und Nein-Stimmen sowie der Enthaltungen und etwaiger ungültiger Stimmen (mit Begründung) aufgenommen werden. Sitzungsleiter sollten sich mit den geltenden Mehrheitserfordernissen vertraut machen und schon bei der Gestaltung von Beschlussvorlagen das weitere Verfahren planen, denn auch eine Stichwahl ist ohne Satzungsgrundlage im Vereinsrecht nicht zulässig (Oberlandesgericht Schleswig, Beschluss vom 12. Januar 2005 – 2 W 308/04).
Auch bei der Gestaltung von Wahlen und Abstimmungen in den aufgrund der Corona-Pandemie an Bedeutung gewinnenden Beschlüssen im schriftlichen Umlaufverfahren ist dies zu beachten, da „weitere Runden“ hier mit besonderem Aufwand verbunden sind. Übrigens sollte von Block- und Listenwahlen generell Abstand genommen werden: Sofern die Satzung sie nicht ausdrücklich zulässt, gelten sie im Vereinsrecht als unzulässig. Bei Fragen zur Gestaltung von Abstimmungen und Wahlen unterstützen wir Sie gerne.