Kündigungsschutz nach Abberufung: Rückkehr in den Arbeitnehmerstatus

Was passiert, wenn ein Geschäftsführer abberufen wird und anschließend gekündigt wird? Verliert er dauerhaft seinen Kündigungsschutz oder lebt dieser wieder auf? Mit dieser Frage befasste sich das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) in seinem Urteil vom 28. Februar 2025 – 14 SLa 578/24. Die Entscheidung ist besonders relevant für Unternehmen mit leitenden Angestellten in Doppelfunktion – und für die Betroffenen selbst.


Der Fall

Ein Arbeitnehmer war seit April 2021 bei einer Konzerngesellschaft als „Vice President for A“ tätig und wurde kurz darauf zu ihrem Geschäftsführer bestellt. Diese Organstellung wurde im Februar 2023 widerrufen und der Kläger aus dem Handelsregister ausgetragen. Eine neue Position im Unternehmen wurde nicht gefunden. Im Juni 2023 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich zum Jahresende. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht Darmstadt stellte zunächst nur fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 31. Januar 2024 endete. Das LAG ging darüber hinaus und erklärte die Kündigung insgesamt für unwirksam. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde für die Beklagte zugelassen.
 

Die Entscheidung

Das LAG stellte klar: Nach der Abberufung als Geschäftsführer sei der Kläger wieder als „normaler“ Arbeitnehmer anzusehen. Damit unterliege er wieder dem allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Die Kündigung sei mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam. Zentral war die Frage, ob § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG Anwendung findet. Diese Vorschrift schließt den Kündigungsschutz für Organvertreter – etwa GmbH-Geschäftsführer – aus. Das Gericht stellte jedoch klar: Die Ausnahme greife nur, solange die Organstellung tatsächlich bestehe. Zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs war der Kläger nicht mehr Geschäftsführer – also galt der allgemeine Kündigungsschutz wieder.

Besonders relevant war die vertragliche Ausgestaltung: Der Arbeitsvertrag enthielt eine Klausel, wonach der Kläger auch außerhalb der Geschäftsführerfunktion anderweitig beschäftigt werden konnte. Diese Öffnungsklausel sprach gegen eine ausschließliche Bindung des Vertrags an die Organstellung. Das Gericht betonte, dass der Arbeitgeber sich nicht einerseits eine flexible Beschäftigung vorbehalten und andererseits den Wegfall der Geschäftsführerstellung als Kündigungsgrund nutzen könne.
 

Abgrenzung zur bisherigen Rechtsprechung

Das Urteil setzt sich ausführlich mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auseinander. Das BAG hatte in einem obiter dictum angedeutet, dass § 14 KSchG auch nach Abberufung noch greifen könne, wenn der zugrunde liegende Vertrag ein Geschäftsführerdienstvertrag war. Das LAG Hessen widerspricht dieser Sichtweise ausdrücklich: Maßgeblich sei allein, ob zum Zeitpunkt der Kündigung eine Organstellung bestehe – nicht, ob der Vertrag ursprünglich auf eine solche ausgerichtet war.
 

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil hat erhebliche praktische Relevanz: Für Arbeitgeber: Wer einen ehemaligen Geschäftsführer kündigen möchte, muss prüfen, ob dieser noch eine Organstellung innehat. Ist dies nicht der Fall, greift der allgemeine Kündigungsschutz – und eine Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein. Eine pauschale Berufung auf § 14 KSchG ist dann nicht möglich. Für Arbeitnehmer: Nach der Abberufung als Geschäftsführer lebt der Kündigungsschutz wieder auf – sofern ein Arbeitsverhältnis besteht. Eine Kündigung ist dann nur unter den strengen Voraussetzungen des KSchG möglich.
 

Fazit

Das LAG Hessen stärkt die Rechte von Arbeitnehmern in Doppelfunktion. Es stellt klar: Der Verlust der Organstellung bedeute die Rückkehr in den Arbeitnehmerstatus – mit allen arbeitsrechtlichen Schutzrechten. Arbeitgeber sollten ihre Vertragsgestaltung und Kündigungspraxis sorgfältig prüfen. Arbeitnehmer wiederum sollten ihre Rechte kennen und im Zweifel rechtzeitig geltend machen.

Autor
Autorin
Autor
Rechtsanwalt, Steuerberater, Partner, Niederlassungsleitung Münster

Weitere Artikel, die Sie interessieren könnten

phone
mail Pfeil weiß