Der Bundesgerichtshof (BGH) befasst sich in seinem Urteil vom 18. April 2024 – IX ZR 239/22 – vertieft mit der Vorsatzanfechtung von geleisteten Zahlungen eines Krisenunternehmens. Im Vordergrund stehen dabei die Kriterien für die Annahme eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes auf Seiten der insolventen Gesellschaft. Um den Anspruch des Insolvenzverwalters zu bejahen, muss dieser Vorsatz auch vom Empfänger der Zahlungen erkannt werden.
Der Fall
Über das Vermögen einer Charter-Fluggesellschaft wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Bei den durchgeführten Flügen führten Beamte der Bundespolizei regelmäßig Durchsuchungen von Fluggästen und deren Gepäck durch. Die in diesem Zusammenhang entstandenen Gebühren wurden von verschiedenen Bundespolizeidirektionen erhoben, die Bundeskasse nahm die Zahlungen der Fluggesellschaft entgegen und fungierte in diesem Zusammenhang als Zahlstelle. Wenige Monate vor dem Insolvenzantrag beglich die Fluggesellschaft die bezeichneten Gebühren in Höhe von etwa 236.000,00 Euro durch Zahlungen an die Bundeskasse. Der Insolvenzverwalter betreibt in dieser Höhe die Anfechtung mit dem Ziel, die durch die Bundespolizeidirektionen vereinnahmten Zahlungen zurückzufordern und damit die Insolvenzmasse zu mehren.
Sowohl das Landgericht Potsdam als auch die Berufungsinstanz, das Oberlandesgericht Brandenburg, stuften die Zahlungen wegen einer vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO als anfechtbar ein und bejahten einen entsprechenden Anfechtungsanspruch des Insolvenzverwalters. Darüber hinaus seien nach Ansicht des Berufungsgerichts die Zahlungen, die in den letzten drei Monaten geleistet wurden, nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO wegen Zahlungsunfähigkeit, die den Gläubigern bekannt war, anfechtbar. In Höhe einer Summe von etwa 21.000,00 Euro, welche betreffend die Vollstreckung angedroht wurde, bestehe ein Anfechtungsanspruch bereits aufgrund der bestehenden Zahlungsunfähigkeit, ohne dass es auf die Kenntnis der Gläubiger ankomme.
Die Entscheidung
Der Bundesgerichtshof (BGH) kommt im Revisionsverfahren zu einer anderen Rechtsauffassung. Weit überwiegend gab er der Klage nicht statt, hob das Urteil auf und verwies den Fall zur weiteren Ermittlung und Entscheidung zurück an das OLG Brandenburg. In Bezug auf die etwa 21.000,00 Euro gab er der Klage statt.
Die Bundesrichter verneinen die Feststellung eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes. Maßgeblich sei, dass bei einer kongruenten Deckung nicht ausschließlich die vom Insolvenzverwalter festgestellte Zahlungsunfähigkeit genügt, um auf einen entsprechenden Vorsatz schließen zu können. (Kongruente Deckungen liegen vor bei einer Sicherung oder Befriedigung, d. h. hierzu führenden Rechtshandlungen, die dem Insolvenzgläubiger gebühren, weil er auf sie so, wie sie erbracht wurden, einen Anspruch hatte.) Vielmehr komme es zusätzlich darauf an, ob der insolvenzreife Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Handlung (Zahlung) wusste oder zumindest billigend in Kauf nahm, seine anderen Gläubiger nicht vollständig befriedigen zu können. Dieses Kriterium, für welches der Insolvenzverwalter beweisbelastet ist, hat das Berufungsgericht nach Auffassung des BGH nicht hinreichend gewürdigt. Zwar habe das Berufungsgericht berechtigterweise die Deckungslücke zwischen liquiden Vermögen und Verbindlichkeiten als für die Beurteilung maßgeblich eingestuft. Wenn die Summe an Verbindlichkeiten ein Ausmaß erreiche, bei dem selbst bei optimistischer Einschätzung in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung der vorhandenen und absehbar hinzutretenden Gläubiger zu erwarten sei, müsse dem Schuldner klar sein, dass er nicht einzelne Gläubiger befriedigen könne, ohne andere zu benachteiligen. Werden derartige Feststellungen nicht getroffen, so kann auch eine
aufgestellte Liquiditätsbilanz, die eine Deckungslücke prognostiziert, als Beleg für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz herangezogen werden.
Nach Auffassung des BGH sind beide Voraussetzungen für die Annahme eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes nicht einschlägig. Weder wurde eine Liquiditätsbilanz aufgestellt, noch ergaben sich aus den Feststellungen erhebliche Verbindlichkeiten, die das Vermögen der Fluggesellschaft deutlich überstiegen. Die Feststellung im Nachhinein, dass Verbindlichkeiten zum Insolvenzeröffnungszeitpunkt nicht beglichen wurden, könne ein Indiz für eine maßgebliche Deckungslücke sein, die Ermittlungen zum Zahlungszeitpunkt aber nicht ersetzen.
Der BGH verneinte auch die erforderliche Kenntnis eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes aufseiten des Gläubigers. Diese wird vermutet, wenn einem entsprechenden Gläubiger bekannt ist, dass die Zahlungsunfähigkeit zumindest drohte. Von einer Zahlungsunfähigkeit kann bei einer Zahlungseinstellung ausgegangen werden, namentlich dann, wenn sich aus der Erklärung des Schuldners oder zumindest aus den maßgeblichen Umständen ergibt, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, erhebliche Verbindlichkeiten nicht innerhalb von drei Wochen – auch nicht ratenweise – begleichen zu können. Nach den Ermittlungen des BGH fehlte es bei der Tatsachenermittlung auch an dieser Stelle an den entsprechenden Feststellungen der Instanzgerichte. Zudem stellte der BGH fest, dass es auf die Kenntnis der Zahlungseinstellung nicht aufseiten der Bundeskasse, sondern auf die der einzelnen Bundespolizeidirektionen ankomme. Eine gegenseitige Wissenszurechnung zwischen den verschiedenen Polizeidirektionen bestehe vorliegend – mangels einer behördenübergreifenden Handlungs- und Informationseinheit – nicht.
Da die Kenntnis einer Zahlungsunfähigkeit durch die Gläubiger nicht festzustellen war, sind nach Ansicht des BGH auch in Bezug auf die Anfechtungsmöglichkeit nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO weitere Feststellungen des Berufungsgerichts vonnöten. Für anfechtbar hingegen hielt die Kammer die Zahlungen, die angesichts einer Androhung der Vollstreckung erfolgten. Eine Anfechtung ist dementsprechend nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO im zweiten und dritten Monat vor Insolvenzantrag aufgrund der festgestellten Zahlungsunfähigkeit möglich, ohne dass es auf eine Kenntnis durch den Gläubiger ankommt.
Praxis-Hinweis
Das Insolvenzanfechtungsrecht ist häufig von verschiedenen zu bewertenden Umständen sowohl aufseiten des Insolvenzschuldners als auch aufseiten des Insolvenzgläubigers abhängig. Vertragspartner eines Krisenunternehmens können das Risiko einer Rückabwicklung von vereinnahmten Zahlungen in den wenigsten Fällen eindeutig abschätzen. Möglichkeiten der Risikominimierung sind geboten. Verträge lassen sich gegebenenfalls durch die Vereinbarung des sogenannten Bargeschäfts insolvenzfest gestalten. Eine Voraussetzung dafür ist eine Leistungserbringung und Vergütung in einem überschaubaren zeitlichen Zusammenhang.