Der Fall
Im Ausgangsverfahren wandte sich eine an paranoider Schizophrenie und schizophrenem Residuum erkrankte Betroffene gegen die Versagung der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, ihre zwangsweise ärztliche Behandlung mit einem Neuroleptikum statt in einem Krankenhaus in dem von ihr bewohnten Wohnverbund durchzuführen. Für sie ist eine Betreuung eingerichtet, die unter anderem die Gesundheitssorge sowie die Aufenthaltsbestimmung umfasst. Sie ist in einem geschlossenen Wohnverbund untergebracht. Da sie die Dauerbehandlung mit Neuroleptika ablehnte, wurde sie regelmäßig zur Zwangsbehandlung in ein Krankenhaus eingewiesen. Nachdem ein Antrag des Betreuers, die Zwangsbehandlung im Sinne der Verabreichung des Neuroleptikums im stationsadäquaten Wohnverbund vorzunehmen, abgelehnt worden war, legte sie beim Landgericht Rechtsbeschwerde ein. In der Folge setzte der Bundesgerichtshof das Verfahren aus und legte die Rechtsfrage dem Bundesverfassungsgericht vor.
Die Entscheidung
Zunächst ist festzuhalten, dass das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich die Bindung ärztlicher Zwangsmaßnahmen an einen stationären Krankenhausaufenthalt weiterhin für zulässig erachtet. Grundsätzlich werde mit den Bestimmungen des § 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB a. F. und des § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB gesetzgeberisch ein legitimer Zweck verfolgt. Demnach sei es eine aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG resultierende Schutzpflicht des Staates, „hilfsbedürftigen Menschen, die bei einem drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden die Notwendigkeit ärztlicher Maßnahmen nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, unter engen Voraussetzungen als ultima ratio auch unter Überwindung ihres entgegenstehenden natürlichen Willens Schutz durch ärztliche Versorgung zu gewähren.“
Der Gesetzgeber hatte sich in der damaligen Gesetzesbegründung insbesondere gegen medizinische Zwangsmaßnahmen in Heimen gewandt. Ambulante ärztliche Zwangsmaßnahmen widersprächen grundsätzlich dem Grundgedanken der modernen Psychiatrie, die auf einer vertrauensvollen Behandlung und Kooperation des Betreuten fuße. Eine Vermischung von psychiatrischer Versorgung und unmittelbarem Zwang müsse vermieden werden. Vielmehr ziele die Betreuung in psychiatrischen Einrichtungen gerade darauf ab, das Vertrauen so zu stärken, dass auf Basis des steigenden Vertrauens der notwendigen Maßnahme zugestimmt wird und die Zwangsmaßnahme nicht mehr notwendig ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat unter Berücksichtigung des Schutzgedankens des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und dem verfolgten Gesetzeszweck von § 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB a. F. und § 1832 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB entschieden, dass der Krankenhausvorbehalt nicht ausnahmslos angemessen ist. Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung stelle sich die Durchführung der Zwangsmaßnahme ausschließlich in einer stationären Krankenhauseinrichtung nicht durchweg als verhältnismäßig im engeren Sinne dar. Den Betroffenen werde damit die Wahl verwehrt, eine ärztliche Zwangsmaßnahme von möglicherweise favorisierten Behandlern des Vertrauens durchführen zu lassen. Dies setzt voraus, dass der Betroffene hierüber einen natürlichen Willen bilden kann. Hinzu tritt, dass sich durch die Verbringung des Betroffenen in eine stationäre Krankenhauseinrichtung die Eingriffsintensität noch erhöhen kann. So kann es durch das Infektionsrisiko bei stationären Krankenhausaufenthalten zu weiteren Beeinträchtigungen kommen. Ebenso kann der notwendige Transport des Betroffenen bei körperlichem Widersetzen bereits für sich mit einem körperlichen zusätzlichen Zwang verbunden sein. Im Gegenzug sei bei Betreuten, die in stationären Heimeinrichtungen untergebracht sind, die erforderliche medizinische Nachversorgung mit der in einer Krankenhauseinrichtung nahezu gleich.
Zu berücksichtigen sei bei der Abwägung im Einzelfall auch die Art der ärztlichen Zwangsmaßnahme, insbesondere sei es bei der wiederholten Verabreichung von Medikamenten bei früherer Verträglichkeit des Betroffenen aus Ex-ante-Sicht nicht zu erwarten, dass es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen komme.
Die verfahrensrechtlichen Vorgaben seien nicht zu beanstanden und böten einen ausreichenden Schutz für Betroffene in entsprechenden stationären Heimeinrichtungen.
Praxis-Hinweis
Bis zur Umsetzung einer Neuregelung sind nun die Beteiligten entsprechender Zwangsmaßnahmen an betreuten Heimbewohnern an die bisherigen Regelungen gebunden, obgleich sich diese in bestimmten Fällen als verfassungswidrig darstellen können und bei entsprechendem Beschreiten des Rechtsweges die Rechtswidrigkeit der Maßnahme festgestellt werden könnte. Wie mit diesem Widerspruch bis Ende 2026 umzugehen ist, hat das Bundesverfassungsgericht offengelassen.