Umsatzsteuerliche Konsequenzen für WfbM und Inklusionsbetriebe
Mit Urteil vom 23. Juli 2019 – XI R 2/17 – hat der Bundesfinanzhof (BFH) die bisherige umsatzsteuerliche Behandlung von Werkstätten für behinderte Menschen und Inklusionsbetrieben auf den Kopf gestellt. Welche Konsequenzen müssen Träger dieser Einrichtungen aus dem Urteil ziehen?
Ermäßigter Umsatzsteuersatz für WfbM und Inklusionsbetriebe
In seinem Urteil hat der BFH zur Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes (7 %) auf Leistungen von Zweckbetrieben gemeinnütziger Körperschaften Stellung genommen. Es ging um die Beurteilung der Leistungen eines Bistros, das durch einen gemeinnützigen Verein neben einer Behindertenwerkstatt als Inklusionsbetrieb geführt wurde. In diesem Bistro arbeiteten Menschen mit Behinderungen und Langzeitarbeitslose. Der Verein führte den Betrieb als Zweckbetrieb und führte seine Leistungen in der Folge mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG aus.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG sind Leistungen der Körperschaften, die gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke (§§ 51 – 68 AO) verfolgen, ermäßigt zu besteuern (Satz 1). Das gilt nicht für Leistungen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs (Satz 2). Davon gilt nach Satz 3 eine Rückausnahme (Besteuerung mit 7 %), wenn es sich um einen Zweckbetrieb (§§ 65 – 68 AO) handelt und wenn
- der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden, oder
- wenn die Körperschaft mit diesen Leistungen ihrer (in §§ 66 - 68 AO bezeichneten) Zweckbetriebe die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklicht.
Der BFH vertritt in seinem Urteil die Auffassung, dass Satz 1 dieser nationalen Norm zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nicht mit Unionsrecht vereinbar sei und die Sätze 2 und 3, soweit sie zur Anwendung des Regelsteuersatzes führen, weit ausgelegt werden müssten. Im konkreten Fall erkannte der BFH dann auch eine unzulässige Wettbewerbsverzerrung (Satz 3, 1. Alternative) und stellte darüber hinaus fest, dass der Betrieb zwar der Zweckverwirklichung diene, die erbrachten Leistungen im Bistro aber gegenüber Gästen bzw.
Nutzern erbracht werden, die regelmäßig nicht zum begünstigten Personenkreis des § 53 AO zählen. In der Folge seien die zu beurteilenden Leistungen nicht originär gemeinnützig und auch aus diesem Grunde von der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ausgeschlossen (Satz 3, 2. Alternative). Der BFH räumt der Wettbewerbsneutralität also Vorrang ein und lehnt gleichzeitig die Auffassung ab, der aus der unionsrechtlichen Mehrwertsteuersystemrichtlinie abzuleitende Lenkungszweck erfordere eine Berücksichtigung des gesamten sozialen Kontextes der Leistungserbringung.
Die Argumentationskette des BFH würde, wenn sie sich durchsetzt, mit voller Wucht WfbM und Inklusionsbetriebe treffen. Diese Unternehmen würden das bisherige Steuerprivileg des ermäßigten Umsatzsteuersatzes verlieren. Das Steuerprivileg resultierte aus dem gesellschaftsrechtlich gewollten Nachteilsausgleich aufgrund der Beschäftigung besonders schwer behinderter Menschen. Die Folgen für die Einrichtungen wären schwerwiegend und teilweise existenzbedrohend. Insbesondere würde die Wettbewerbsfähigkeit von WfbM und Inklusionsbetrieben im Verhältnis zu solchen Kunden, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, auf die Probe gestellt.
Bis zu einer Veröffentlichung des Urteils durch die Finanzverwaltung im Bundessteuerblatt gilt grundsätzlich die bisherige Regelung in Abschn. 12.9 Abs. 12 und 13 UStAE (in den dort aufgeführten Grenzen) und damit weiterhin in der Regel der ermäßigte Steuersatz. Wann mit einer Reaktion der Finanzverwaltung gerechnet werden kann, ist unklar. Unabhängig von konkreten Änderungen für die Zukunft dürfte aber nach dem Grundsatz von Treu und Glauben derzeit insoweit Rechtssicherheit bestehen, als eine rückwirkende Versagung des ermäßigten Steuersatzes eher nicht ansteht.
Unabhängig davon empfehlen wir, eine Vertragsanalyse vorzunehmen. Bei Vertragsbeziehungen zu Kunden, die zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, ist zu prüfen, ob eine Berechnung des jeweils geltenden Umsatzsteuersatzes vereinbart ist und somit ggf. eine Nachbelastung möglich ist. Für Kundenbeziehungen zu sogenannten steuerlichen Endkunden (Privatleute, öffentliche Hand, steuerbegünstigte Einrichtungen u. Ä.) bleibt nur, prophylaktisch die Durchsetzbarkeit einer Preiserhöhung im jeweiligen Wettbewerbsumfeld zu prüfen.
Umsatzsteuerliche Gefahren für WfbM und Inklusionsbetriebe - Praxis-Hinweise:
Das ergangene Urteil scheint die künftige Anwendung des ermäßigten Steuersatzes im Rahmen von WfbM und Inklusionsbetrieben auszuschließen. Ob und welche steuerlichen Handlungskonsequenzen zu ziehen sind, hängt vom weiteren Umgang der Finanzverwaltung mit dem Urteil ab, das in Widerspruch zu den bisherigen Regelungen im UStAE steht. Wir empfehlen unseren Mandanten, ihre Vertragsbeziehungen auf Anpassungsbedarf zu analysieren und ggf. Preiskalkulationen zu aktualisieren. Für entsprechende Hilfestellungen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.