Sozialversicherungspflicht von Honorarärzten - Update
Das Bundessozialgericht (BSG) hat in mehreren Urteilen vom 4. Juni 2019 – B12 R 11/18 R als Leitfall – über die Sozialversicherungspflicht von Honorarärzten entschieden. Der klagende bayerische Landkreis beschäftigte eine Fachärztin für Anästhesie auf Basis eines sogenannten „Konsiliararztvertrages“, der weder ein Arbeitsverhältnis noch ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis begründen sollte. Die Ärztin, die auch für andere Auftraggeber tätig war, berechnete für ihre Dienste ein Honorar von 80 € pro Stunde im Tagdienst und 64 € pro Stunde im Bereitschaftsdienst. Im Rahmen ihrer Einsätze wurde die Ärztin dabei als Vertreterin eines angestellten Arztes tätig. Sie wurde in den Dienstplan des Krankenhauses eingetragen und arbeitete mit den dortigen Mitarbeitern zusammen. Sie behandelte ausschließlich Patienten des Krankenhauses und war nach außen nicht als externe Kraft erkennbar.
Im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens stellte die Deutsche Rentenversicherung fest, dass es sich bei dieser Tätigkeit um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handelt. Das BSG bestätigte diese Auffassung nun in letzter Instanz. Das BSG verwies zunächst in Fortführung seiner ständigen Rechtsprechung darauf, dass die vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien dann unbeachtlich ist, wenn die tatsächliche Durchführung des Vertrages dieser Vereinbarung zuwiderläuft. Ebendies war zwischen den Parteien aus Sicht des Senats der Fall. Obwohl das Vertragsverhältnis zwischen Krankenhaus und Ärztin als „Konsiliararztvertrag“ bezeichnet wurde, liege ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vor, weil die Ärztin zwar in ihren medizinischen Heilbehandlungen und Therapien frei und eigenverantwortlich handeln durfte, im Übrigen aber in den Betriebsablauf des Krankenhauses eingegliedert war und einem Weisungsrecht unterlag.
Bei hochqualifizierten Dienstleistungen wie der Tätigkeit als Ärztin genüge es, wenn die Dienstleistung ihr „Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird“. Die Ärztin war auf bestimmten Stationen bzw. in bestimmten Operationssälen eingeteilt und erbrachte ihre Arbeitsleistung unter Führung eines Ober- oder Chefarztes. Ferner war sie von den organisatorischen Vorgaben des Klinikbetriebs abhängig und konnte die Arbeit nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt abbrechen. Sie hatte gegenüber den angestellten Ärzten des Krankenhauses keine ins Gewicht fallenden Freiheiten hinsichtlich Gestaltung und Umfang ihrer Arbeitsleistung.
Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass ein Arzt, wenn dieser seine Leistung innerhalb der vom Krankenhaus vorgegebenen Organisationsabläufe erbringt, in einer seine Tätigkeit prägenden Art und Weise fremdbestimmt in den Betrieb des Krankenhauses eingegliedert ist. Demgegenüber erachtete der Senat die für eine Selbstständigkeit sprechenden Gesichtspunkte als nicht ausreichend. Weder der Umstand, dass die Ärztin noch für andere Auftraggeber tätig war, noch die zwischen den Parteien vereinbarte Honorarhöhe genüge für die Annahme einer selbstständigen Beschäftigung. Gerade in Bezug auf die Honorarhöhe stellte der Senat weiter fest, dass es den Parteien eben nicht möglich ist, sich durch höhere Stundenlöhne von der Sozialversicherungspflicht „freizukaufen“.
Sozialversicherungspflicht von Honorarärzten - Praxis-Hinweis:
Das BSG hat mit dieser Entscheidung wohl das vorerst „letzte Wort“ zu Honorarärzten gesprochen. Ein Einsatz von Honorarärzten im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit im Krankenhaus dürfte kaum noch möglich sein. Bestehende Honorar- bzw. Konsiliararztverträge sollten folglich kritisch dahinge-hend überprüft werden, ob ein Einsatz eines solchen Arztes nur punktuell in einem konkreten Einzelfall erfolgt. Den Auftraggebern drohen neben möglichen Nachforderungen auch strafrechtliche Konsequen-zen wegen des Nichtabführens von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer gem. § 266a StGB und § 370 AO.
Medizinrecht/Krankenhausrecht
Vor dem 12. Senat des Bundessozialgerichts wurden am 4. Juni 2019 und am 7. Juni 2019 insgesamt siebzehn Verfahren zur Versicherungspflicht von Honorarärzten und Honorarpflegekräften in stationären Einrichtungen verhandelt.
Honorarärzte im Krankenhaus sind regelmäßig sozialversicherungspflichtig
Als sogenannten Leitfall – B 12 R 11/18 R – wählte der 12. Senat das Verfahren über die Sozialversicherungspflicht einer Fachärztin für Anästhesie aus, die ab Januar 2013 auf Grundlage eines so bezeichneten „Konsiliararztvertrags“ auf Honorarbasis wiederholt im Tag- und Bereitschaftsdienst mit einem Stundenlohn von 80 € im Tagdienst und 64 € im Bereitschaftsdienst tätig war und überwiegend im OP eingesetzt wurde. Nach Auffassung des 12. Senats sind auch Honorarärzte regelmäßig weisungsgebunden und in die Arbeitsorganisation eines Krankenhauses eingegliedert, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrscht, auf die die Honorarärzte keinen eigenen unternehmerischen Einfluss haben.
So seien insbesondere Anästhesisten bei einer Operation in der Regel Teil eines Teams, das arbeitsteilig unter der Leitung eines Verantwortlichen zusammenarbeiten muss. Auch die Tätigkeit als Stationsarzt setze regelmäßig voraus, dass sich die Betroffenen in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe einfügen. Hinzu komme, dass Honorarärzte ganz überwiegend personelle und sachliche Ressourcen des Krankenhauses bei ihrer Tätigkeit nutzen.
Honorarärzte im Krankenhaus sind regelmäßig sozialversicherungspflichtig - Fazit:
Somit sind Honorarärzte nicht anders als beim Krankenhaus angestellte Ärzte vollständig in den Betriebsablauf eingegliedert. Unternehmerische Entscheidungsspielräume sind bei einer Tätigkeit als Honorararzt im Krankenhaus regelmäßig nicht gegeben. Die Honorarhöhe ist nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien und war im vorliegenden Fall nicht ausschlaggebend. Ebenso wenig kann ein etwaiger Fachkräftemangel Einfluss auf die sozialrechtliche Beurteilung einer Sozialversicherungspflicht haben. Dies gilt im Übrigen auch für Honorarpflegekräfte in stationären Einrichtungen, die wie angestellte Pflegefachkräfte ihre Arbeitskraft vollständig eingegliedert in einen fremden Betriebsablauf einsetzen und nicht unternehmerisch tätig sind.