Aufnahmepflicht für Frauen in Traditionsvereine

Darf es in Memmingen eine Fischerkönigin geben? Ja – so hat das Amtsgericht Memmingen (AG) entschieden (Urteil vom 31. August 2020 – 21 C952/19). In seinem Urteil hat sich das AG mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz) in der Vereinspraxis auseinandersetzen müssen und diesen für Vereine unter bestimmten Umständen als anwendbar erklärt.Schon seit dem

Amtsgericht Memmingen setzt Zeichen für Gleichbehandlung.

 

Darf es in Memmingen eine Fischerkönigin geben? Ja – so hat das Amtsgericht Memmingen (AG) entschieden (Urteil vom 31. August 2020 – 21 C952/19). In seinem Urteil hat sich das AG mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz) in der Vereinspraxis auseinandersetzen müssen und diesen für Vereine unter bestimmten Umständen als anwendbar erklärt.

Schon seit dem Mittelalter wird jährlich der Stadtbach in Memmingen abgelassen und gereinigt und zuvor am sogenannten „Fischertag“ mit viel Brimborium leergefischt. Dieses jahrhundertealte Brauchtum, welches seit 1919 aufgrund städtischer Übertragung der beklagte „Fischertagsverein e.V.“ durchzuführen hat, hat sich zu einer regional identitätsprägenden Veranstaltung der Stadt mit deutlich über die Stadtgrenzen hinausreichender Bedeutung entwickelt. Wer bei dem Spektakulum – teils mit historischen Kostümen und umfassendem Rahmenprogramm – die fetteste Forelle aus dem Fluss fischt, wird Fischerkönig. Allerdings: Während in vielen Bereichen des Vereinslebens auch Frauen mitmachen dürfen, ist dies beim eigentlichen Fischen am Fischertag nicht möglich. Die Satzung des Vereins schließt Frauen hiervon aus, im Übrigen genügt es ein Mann zu sein, welcher fünf Jahre in Memmingen lebt oder gelebt hat. Der Beklagte „Fischertagsverein e.V.“ hat dementsprechend der Klägerin – einer Frau – die Mitgliedschaft in der entsprechenden Sektion des Vereins namens „Stadtbachfischer“ verweigert, nicht zuletzt, weil deren sämtlichen Versuche einer Satzungsöffnung gescheitert sind.

Hiergegen wandte sich die Klägerin und erstritt das Urteil, welches den Verein verurteilt, die Klägerin in die Gruppe der Stadtbachfischer aufzunehmen, und ferner feststellt, dass der Verein die Klägerin nicht wegen ihres weiblichen Geschlechts von der Teilnahme am jährlichen Ausfischen des Stadtbaches ausschließen darf.

Das Gericht hat so geurteilt, weil es auch den privatrechtlichen Verein mittelbar an Grundrechte gebunden sieht, unabhängig davon, ob er hoheitlich tätig wird oder privatrechtlich handelt. Eine solche mittelbare Drittwirkung mit entsprechendem Aufnahmezwang ist anzunehmen, wenn der Verein im sozialen oder wirtschaftlichen Bereich über eine Monopolstellung verfügt und ein wesentliches Interesse am Erwerb der Mitgliedschaft besteht – beides hat das Amtsgericht bejaht. Offensichtlich war es dem Gericht aufgrund lokaler Kenntnisse möglich zu beurteilen, dass der Fischertagsverein eine Einzigartigkeit ebenso wie eine sozial bedeutsame Position in Memmingen besitzt; dabei sei es unerheblich, dass er ein reiner Geselligkeitsverein ist. Auch das berechtigte Interesse hat das Gericht bejaht, zum einen mit der Möglichkeit zur Teilhabe an der staatlichen Subventionierung des Vereins als steuerbegünstigte Körperschaft, zum anderen auch aber mit dem Interesse, in vollem Umfang an den Möglichkeiten der Kultur- und Heimatspflege durch den Verein teilzuhaben.

Dem steht auch kein sachlich gerechtfertigter Grund für den Ausschluss der Frauen aus der Untergruppe der Stadtbachfischer gegenüber, insbesondere nicht aus Traditionsgründen. Zum einen tritt die Tradition in den Hintergrund, da diese weder historisch detailgetreu nachgespielt werde, sondern vielmehr von einer notwendigen Reinigung zu einer Spaßveranstaltung gewandelt sei, noch vom Verein selbst stringent durchgehalten würde: Neben einigen Personen in historischen Gewändern nehmen auch andere Männer mit „Jeans und T-Shirt“ teil, außerdem hat der Verein selbst seine Zugangsregelungen zum Stadtbachausfischen mehrfach verändert. Während noch 1902 nur in Memmingen „verbürgte (beheimatete)“ Personen zulässig waren, wurde diese Voraussetzung zunächst auf zehn Jahre und dann auf fünf Jahre Wohnsitz reduziert, das Recht bleibt ferner beim Wegzug bestehen. Außerdem sieht die Vereinssatzung selbst die Möglichkeit von Ausnahmen durch den Vereinsvorstand vor. Insoweit stellt das Gericht eine nicht allzu tiefe Tradition fest, die zudem an verschiedenen Punkten auch in der Vergangenheit selbst aufgeweicht wurde. Das Gericht stellte keine andere Beurteilungsmöglichkeit für die Aufnahme von Frauen fest.

Schließlich ergibt sich auch noch aus § 18 Abs. 1 Satz Nr. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein Aufnahmeanspruch, denn auch diese Norm stellt auf eine „Vereinigung … [mit] überragender Machtstellung im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich“ ab, so dass die gleichen Erwägungen tragen.

Fazit zur Aufnahmepflicht von Frauen in Vereine

Dieses zivilrechtliche Urteil hat einen steuerrechtlichen Vorgänger: 2017 hatte der Bundesfinanzhof entschieden, dass eine Freimaurerloge, die Frauen von zentralen Ritualen ausschließt, nicht gemeinnützig sein kann (BFH, Urteil vom 17. Mai 2017 – V R 52/15). Bundesfinanzminister Olaf Scholz hatte daraufhin die Initiative zum Entzug der Gemeinnützigkeit gegenüber Vereinen ergriffen, die ohne sachlichen Grund Frauen in dieser Weise ausschließen und dennoch als steuerbegünstigt anerkannt werden. Es stellt sich die Frage, ob das aktuelle Urteil Wellen schlagen wird: Zunächst einmal muss der betroffene Verein über eine Monopolstellung verfügen und das Mitglied darüber hinaus ein berechtigtes Interesse daran haben, Mitglied werden zu dürfen. Für viele Vereine dürfte das nicht unmittelbar zu bejahen sein. Dennoch: Die Entwicklung ist im Blick zu behalten.

Weitere Artikel, die Sie interessieren könnten

phone
mail Pfeil weiß