Reichweite der Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Urteil vom 26. November 2019 – XI ZR 307/18 – erneut mit der Frage der Wirksamkeit einer Widerrufsbelehrung auseinandergesetzt. Die Verwendung von Widerrufsbelehrungen findet sich typischerweise bei Bankgeschäften, Darlehensverträgen, aber auch bei Verträgen über soziale Dienstleistungen (z. B. Langzeitpflege) wieder. Um jedoch wirksam eine Widerrufsbelehrung und die damit einhergehende Widerrufsfrist in Gang setzen zu können, müssen die engen Voraussetzungen des § 356 BGB beachtet werden. Eine korrekte Widerrufsbelehrung ist bei Vertragsschluss von erheblicher Bedeutung.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde
Die Klägerin und ihr Ehemann schlossen im Juli 2005 mit der (Rechtsvorgängerin der) Beklagten (zukünftig einheitlich: Beklagte) einen mittels Grundschuld abgesicherten Darlehensvertrag. Bei Vertragsschluss belehrte die Beklagte auf einem zweiseitigen und einheitlich paginierten Formular über das Widerrufsrecht. Die Fristlauf sollte hiernach „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ beginnen. Auf einer weiteren separaten Seite folgten „Hinweise auf zu leistenden Wertersatz im Falle des Widerrufs des Darlehens und Zustimmung zur Auszahlung des Darlehens vor Ablauf der Widerrufsfrist“. Sowohl die Hinweise als auch die Widerrufsbelehrung waren mit einem eigenen Feld zur Unterzeichnung durch den Darlehensnehmer versehen. Bei den Hinweisen wurde im Text eine Zustimmung zur Wertersatzpflicht verlangt. Im Februar 2016 widerriefen die Klägerin und ihr Ehemann die auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung. Sie vertraten die Auffassung, dass die Widerrufsbelehrung fehlerhaft gewesen und somit das 14-tägige Widerrufsrecht nicht wirksam in Kraft getreten sei. Das Landgericht Saarbrücken entsprach dem Klägerantrag und stellte fest, dass sich der Darlehensvertrag durch Widerruf in ein Rückgewähr-schuldverhältnis umgewandelt habe. Das Oberlandesgericht des Saarlandes wies die Berufung der Beklagten zurück.
Revisionsverfahren
Die Revision der Beklagten vor dem BGH war erfolgreich und die Klage wurde insgesamt abgewiesen. Anders als die Vorinstanzen ging der BGH von einer wirksamen Widerrufsbelehrung aus. Er bejahte in engen Grenzen das Bestehen der sogenannten „Gesetzlichkeitsfiktion“(§ 14 Abs. I BGB-InfoV, gültig bis 10. Juni 2010) bei Verwendung des Musterwiderrufformulars (Anlage 2 zu § 14 Abs. I BGB-InfoV, in der bis zum bis 31. März 2008 wirksamen Fassung), auch wenn das Musterformular verändert wurde. Vorliegend wurde zwischen den Überschriften „Widerrufsrecht“ und „Widerrufsbelehrung“ ein Text, der sich nicht im Musterformular findet, eingefügt. Nach Ansicht des BGH sind Zusätze, die der konkreten Individualisierung eines Verbrauchervertrages dienen, zulässig. Ebenfalls unschädlich sind Abweichungen von der Vorlage in Format und Schriftgröße. Auch die Verwendung des Wortes „frühestens“ (in Bezug auf den Beginn des Fristenlaufes) führt nicht zum Wegfall der Schutzwirkung der Gesetzlichkeitsfiktion, sondern ist (in Altfällen) gerade von ihr umfasst. Ein solcher Fall liegt vor, wenn der Vertragsschluss zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, zu dem die Musterwiderrufsbelehrung das Wort „frühestens“ beinhaltete (bis 31. März 2008). Ebenfalls nicht zu beanstanden ist das von der Beklagten ausgegebene Hinweisblatt. Dieses war unabhängig von der Widerrufsbelehrung vom Beklagten zu unterschreiben und räumlich von der Widerrufsbelehrung getrennt. Die Paginierung der Widerrufsbelehrung endete auf Seite 2/2 und umfasste das Hinweisblatt nicht. Unklarheiten und Ungewissheiten, die den Verbraucher von der Ausübung seines Widerrufsrechtes abhalten würden, ergeben sich hieraus nicht.
Gesetzlichkeitsfiktion Fazit
Die Widerrufsbelehrung ist nach wie vor ein vermeidbarer neuralgischer Punkt eines Vertrages. Die Belehrung hat umfassend, unmissverständlich und aus Sicht des Verbrauchers eindeutig zu erfolgen. Um in den Genuss der „Gesetzlichkeitsfiktion“ zu gelangen, ist es dringend erforderlich, sich streng am Muster-Widerrufsformular zu orientieren. Ausnahmen gelten nur für eingefügte Hinweise, die zur Identifizierung des konkreten Vertrages dienen. Eine räumliche Trennung der Widerrufsbelehrung vom übrigen Vertragstext ist geboten. Die Materie des Widerrufsrechts ist ständig in Bewegung. Daher ist darauf zu achten, stets das aktuelle Muster-Widerrufsformular zu verwenden. So werden Unklarheiten vermieden und möglicherweise Rechtsstreitigkeiten verhindert.