Diese interessante Entscheidung wird aktuell in verschiedenen, teils noch nicht veröffentlichten, verwaltungsgerichtlichen Beschlüssen des vorläufigen Rechtsschutzes zitiert. Mit dem Zitat der OVG-Münster-Entscheidung werden regelmäßig, auch in der Argumentation des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW), die rechtliche Zulässigkeit von Fallzahlen als Auswahlkriterium und die Rechtmäßigkeit der Versagung einer Leistungsgruppe begründet. Allerdings lohnt sich ein Blick auf die folgenden Fragen:
Für welche Sach- und Rechtslagen gilt die OVG-Entscheidung wirklich und in welchen Fallkonstellationen sind Fallzahlen (doch) rechtlich unzulässige Auswahlkriterien? Und unter welchen Voraussetzungen werden Fallzahlvorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), wie z. B. Mindestmengen, für die Krankenhausplanung rechtlich verbindlich, obgleich G-BA-Richtlinien Qualitätssicherungsinstrumente, also keine Instrumente der Krankenhausplanung, sind?
Der Fall
Im Zentrum des Verfahrens stand die Klage eines Krankenhauses, das sich gegen seine Nichtberücksichtigung im Rahmen der neuen Krankenhausplanung des Landes NRW zur Wehr setzte. Die Bezirksregierung hatte sich im Auswahlverfahren für ein konkurrierendes Haus entschieden – unter anderem unter Verweis auf die dort deutlich höheren Fallzahlen in der betroffenen Leistungsgruppe.
Das antragstellende Krankenhaus hielt dies für rechtswidrig: Fallzahlen seien – so seine Argumentation – kein gesetzlich vorgesehenes Auswahlkriterium, weshalb sie nicht maßgeblich herangezogen werden dürften. Es bestehe ein struktureller Gleichlauf zwischen den im Krankenhausplan dargestellten Standorten und den zugelassenen Einrichtungen. Dieser dürfe nicht durch „faktische Leistungsstärken“ ausgehöhlt werden.
Die Entscheidung
Das OVG Münster sah das anders. Die Auswahlentscheidung der Bezirksregierung sei nicht zu beanstanden. Die Heranziehung von Fallzahlen sei sachgerecht, zulässig und verfassungsrechtlich unbedenklich, solange sie in einem transparenten, verhältnismäßigen Verfahren berücksichtigt werde. Das Gericht machte deutlich: Das Krankenhausplanungsrecht gibt den Behörden einen weiten Gestaltungsspielraum, der nicht auf eine starre Kriterienliste reduziert werden kann. Besonders deutlich wird das Gericht an einer Stelle: Auch wenn das Landeskrankenhausgesetz bestimmte Auswahlmaßstäbe benennt (wie z. B. Sicherstellung, Qualität, Wirtschaftlichkeit), so schließe das nicht aus, dass weitere sachgerechte Kriterien – wie Fallzahlen – ergänzend berücksichtigt werden dürfen. Die konkrete Versorgungskraft eines Hauses könne Rückschlüsse auf Versorgungssicherheit, Spezialisierung und Patientenzufriedenheit geben.
Rechtliche Einordnung und Bewertung
Grundsätzlich können Fallzahlen ein rechtlich zulässiges Auswahlkriterium sein. In NRW existiert für ihre Anwendung eine Ermächtigungsgrundlage in § 13 Abs. 1 Satz 3 KHGG NRW, die allerdings medizinische Leistungen von hoher Komplexität und eine evidenzbasierte Bestimmung der Fallzahlhöhe verlangt. Die gesetzliche Ermächtigung ist mithin beschränkt auf spezielle Leistungen, wie sie etwa in „Schwerpunkten“ oder „Zentren“ erbracht werden (LT-Drs. 17/1046, S. 131). Hierunter fällt zum Beispiel die Leistungsgruppe „perinataler Schwerpunkt“. Mit ebendieser Leistungsgruppe wollte das betreffende Krankenhaus in den Krankenhausplan NRW 2022 aufgenommen werden und begehrte eine entsprechende Entscheidung des OVG Münster. Folglich ist für die Festlegung einer Fallzahl in dieser Leistungsgruppe eine landeskrankenhausrechtliche Ermächtigung vorhanden. Der Krankenhausplan NRW 2022 wiederum sieht vor, dass für die Fallzahlen auf das Aufnahmegewicht des Kindes abzustellen ist, und verweist auf die Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene (QFR-RL) des G-BA. Die Richtlinien des G-BA können also durchaus für die Krankenhausplanung bedeutsam werden. Die sieht man im Übrigen auch an der Regelung in § 6a Abs. 1 Satz 5 KHG.
Für diejenigen Leistungsgruppen jedoch, die keine „hochkomplexen Leistungen“ enthalten und deren Mindestfallzahl nicht evidenzbasiert festgelegt wird, stellt § 13 Abs. 1 Satz 3 KHGG NRW keine taugliche Ermächtigungsgrundlage dar.
Dennoch folgt aus der bloßen Existenz der Ermächtigungsgrundlage in § 13 Abs. 1 Satz 3 KHGG NRW nicht, dass in einer Auswahlentscheidung auch bei nichtkomplexen Leistungsgruppen Fallzahlen nicht doch berücksichtigt werden können. Werden sie allerdings dort eingesetzt, ohne dass die engen Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 3 KHGG NRW vorliegen, bedeutet dies wiederum nicht, dass für ihren Einsatz keine rechtlichen Vorgaben bestünden und sie beliebig einsetzbar wären. Ob die Fallzahl gesetzlich geregelt sein muss und wie weit diese Regelung gehen muss, hängt vielmehr im besonderen Maß vom Einzelfall ab. Maßgeblich ist, wie schwerwiegend der Eingriff die grundrechtsfähigen Krankenhausträger in ihren grundrechtlichen Positionen betrifft. Dafür ist zu bewerten, in welcher Form die Bezirksregierung die Fallzahl ermittelt, eingesetzt und gewichtet hat. Ist etwa die Nichterfüllung der Fallzahl ausschlaggebendes Kriterium für die Nichtzuweisung der Leistungsgruppe geworden und sind andere Kriterien bloß randständig herangezogen worden, so liegt für den betroffenen Krankenhausträger eine besonders intensive Belastung vor. Weniger intensiv ist sie hingegen dann, wenn die Fallzahl lediglich Teil einer wirklichen Gesamtbewertung geworden und damit lediglich eines von mehreren Auswahlkriterien ist. Werden über das Fallzahlkriterium pauschal Krankenhäuser ausgeschlossen, die eine konkrete Fallzahl nicht erreichen, sind diese in ihrer Berufsfreiheit besonders intensiv belastet. Wird die Fallzahl als Qualitätskriterium eingesetzt, so darf sie bloß eines von mehreren Kriterien sein. Es muss von der Bezirksregierung zum Beispiel zusätzlich gefragt werden: Unter welchen weiteren personellen und strukturellen Rahmenbedingungen werden diese Fallzahlen eigentlich erbracht? Denn wenn hohe Fallzahlen in ungünstigen Umfeldbedingungen (Personal, Strukturen, Prozesse usw.) erbracht werden, dürfte dies die Qualität eines Krankenhauses eher sinken lassen.
Praxis-Hinweis
Fallzahlen tauchen in der Krankenhausplanung in NRW in unterschiedlichen Konstellationen auf. Sofern ein Krankenhaus eine Leistungsgruppe nicht zugeteilt bekommen hat, weil es eine vorgegebene Fallzahl nicht erreicht hat, so ist die Fallzahl als rechtlich zulässiges Auswahlkriterium kritisch zu hinterfragen. Die Entscheidung des OVG Münster lässt sich nur auf bestimmte Sachverhalte anwenden, so dass sich mit ihr eine Auswahl der Bezirksregierung über Fallzahlen nicht generalisierend rechtlich legitimieren lässt. Andererseits sollten Fallzahlen in ihrer Bedeutung auch nicht unterschätzt werden: Das Fallzahlargument zu beseitigen, kann rechtlich mühsam sein – dies zeigen die Interpretationen der OVG-Münster-Entscheidung in den laufenden Gerichtsverfahren recht eindrücklich. Insofern ist die Ausgangslage für Krankenhäuser, die vorgegebene Fallzahlen erfüllen, deutlich günstiger. Kommt man indes an der Diskussion über die Zulässigkeit von Fallzahlen als rechtlichem Auswahlkriterium nicht vorbei, so lohnt ein Blick in die Debatte um die rechtliche Zulässigkeit der Mindestmengenregelungen des G-BA, bei der einige rechtliche Fragen geklärt worden sind.