Pflicht zur barrierefreien Gestaltung erfasst insbesondere Websites und Apps
Das Gesetz bestimmt ein Sammelsurium aus Produkten und Dienstleistungen, die, wenn sie gegenüber einem Verbraucher erbracht werden, barrierefrei zu gestalten sind. Dienstleistungen sind insbesondere dann erfasst, wenn sie im elektronischen Rechtsverkehr erbracht werden, d. h. über eine Website oder App. Auch Unternehmen im Bereich Soziales und Gesundheit sind daher gehalten, ihre Websites und Apps auf Konformität hin zu prüfen.
Anforderungen an die Barrierefreiheit
Erfasste Produkte und Dienstleistungen müssen „für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar“ sein (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BFSG). Hierzu müssen sie auf konsistente und angemessene Weise wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden (§ 12 Nr. 3 BFSGV). Dies betrifft insbesondere Identifizierungs-, Authentifizierungs-, Sicherheits- und Zahlungsfunktionen sowie elektronische Signaturen (§ 19 Nummer 2 und 3 BFSGV). Zudem müssen Dienstleistungen Funktionen, Vorgehensweisen, Strategien und Verfahren sowie Änderungen bei der Ausführung vorsehen, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ausgerichtet sind und die Interoperabilität mit assistiven Technologien gewährleisten (§ 13 BFSGV).
Etwas klarer werden diese allgemein gehaltenen Anforderungen durch vom Gesetz definierte funktionale Leistungskriterien, die grundsätzlich erfüllt sein müssen. Darunter fallen Anforderungen an die Erreichbarkeit, an die Verständlichkeit für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung, an die Vermeidung fotosensitiv ausgelöster Anfälle und an alternative Bedienungsformen. Bei visuellen Bedienungsformen sind beispielsweise zusätzlich Bedienungsformen für Menschen ohne Sehvermögen und für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen vorzuhalten sowie eine Bedienungsform, die keine Farbunterscheidung erfordert (§ 21 Abs. 1 BFSGV). Entsprechende Anforderungen gelten für auditive, stimmliche bzw. manuelle Bedienungsformen. Standards zur Barrierefreiheit veröffentlicht die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit auf ihrer Website (www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de).
Rahmenbedingungen
BFSG-konform sind die betroffenen Produkte und Dienstleistungen jeweils erst dann, wenn auch ihre Rahmenbedingungen barrierefrei gestaltet sind, d. h. die mit dem Produkt bzw. der Dienstleistung verknüpften Angebote zur Nutzung und Ähnliches. Daher müssen beispielsweise auch die Datenschutzinformationen auf einer Website barrierefrei gestaltet sein. Auch etwaige Unterstützungsdienste (Help-Desk, Schulungsdienste etc.) müssen Informationen über die Barrierefreiheit und die Kompatibilität des Produkts mit assistiven Technologien mittels barrierefreier Kommunikationsmittel bereitstellen. Für bestimmte Geräte wie beispielsweise Selbstbedienungsterminals legt die Verordnung gesonderte Anforderungen fest. Krankenhausträger und Arztpraxen sollten daher neben ihrer Website insbesondere etwaige Patientenportale und Terminbuchungsangebote auf ihre Konformität hin überprüfen.
Informationspflichten
Dienstleister müssen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder auf andere deutlich wahrnehmbare Weise die zuständige Marktüberwachungsbehörde benennen und näher spezifizierte Angaben dazu machen, wie ihre barrierefreien Dienstleistungen die Anforderungen der BFSGV erfüllen.
Ausnahmen
Soweit die BFSG-konforme Umgestaltung einer Dienstleistung deren grundlegende Wesensmerkmale verändern würde, gilt die BFSGV nicht. Will sich ein Akteur auf einen solchen Fall berufen, muss er seine Beurteilung dokumentieren, fünf Jahre lang aufbewahren und die Marktüberwachungsbehörde darüber unterrichten. Die Anforderungen der BFSGV gelten auch insoweit nicht, als dies zu einer unverhältnismäßigen Belastung des betreffenden Wirtschaftsakteurs führen würde. Kriterien für die Unverhältnismäßigkeit enthält die Anlage 4 zum BFSG. Auch hier besteht eine Pflicht zur Dokumentation und zur Unterrichtung der Marktüberwachungsbehörde.
Ausweislich der Gesetzesbegründung ging der Gesetzgeber davon aus, Dienstleistungen von Kleinstunternehmen freigestellt zu haben. Ob ihm das gelungen ist, erscheint angesichts der Gesetzessystematik fraglich. Dem Wortlaut nach müssen Kleinstunternehmen ihre Dienstleistungen nicht barrierefrei erbringen (§ 3 Abs. 3 Satz 1 BFSG), begehen aber eine Ordnungswidrigkeit, wenn sie ihre Dienstleistungen anbieten, ohne die BFSGV zu erfüllen oder die Informationen nach Anlage 3 erstellt und in barrierefreier Form zugänglich gemacht zu haben (§§ 37 Abs. 1 Nr. 8, 14 Abs. 1 BFSG). Als Kleinstunternehmen gelten Unternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz oder Jahresbilanzsumme höchstens zwei Millionen Euro beträgt.
Marktüberwachung und Popularklagen
Die Marktüberwachungsbehörde prüft stichprobenartig sowie anlassbezogen, ob und inwiefern Dienstleistungen BFSG-konform sind. Bei fehlender Konformität kann sie Abhilfe verlangen und bei nicht fristgerechter Erledigung die weitere Erbringung der Dienstleistung untersagen. Auf Antrag eines Verbrauchers muss sie ein Verfahren einleiten, sofern der Verbraucher geltend macht, dass der Wirtschaftsakteur gegen eine Bestimmung des BFSG oder der BFSGV verstößt und der Verbraucher daher das betreffende Produkt oder die betreffende Dienstleistung nicht uneingeschränkt nutzen kann. Antragsberechtigt sind auch anerkannte Verbände und anerkannte Stellen. Verbraucher können sich anstatt an die Behörde auch an einen anerkannten Verband oder eine anerkannte Stelle wenden, die dann den Antrag im Namen des Verbrauchers oder im eigenen Namen stellt.