Ersatzansprüche wegen pandemiebedingter Betriebsschließungsanordnungen
Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie haben staatliche Anordnungen für viele Betriebe zu bedeutenden wirtschaftlichen Beeinträchtigungen geführt. Betriebsleiter – auch gemeinnütziger Einrichtungen – stellen sich die Frage, ob deswegen Ersatzansprüche gegen den Staat bestehen. Am Beispiel verbreitet ergangener, auf bestimmte Betriebsarten bezogener allgemeiner Betriebsschließungsanordnungen geben wir einen ersten Überblick über den gegenwärtigen Diskussionsstand.
Insbesondere in Bezug auf Schäden infolge allgemein angeordneter Betriebsschließungen wird die Möglichkeit von Ansprüchen gegen den Staat diskutiert. Angesichts der durch die Corona-Pandemie verursachten Ausnahmesituation wird damit ein juristisch weitgehend unerschlossenes Gebiet betreten. Erste Stellungnahmen in der Literatur treffen widersprüchliche Aussagen. Die bisher ergangene Rechtsprechung erscheint noch ungefestigt. Diskutiert werden vor allem die folgenden Anspruchsgrundlagen:
Ansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz
Prominent thematisiert werden Ansprüche nach §§ 56 Abs. 1 und 65 Infektionsschutzgesetz (IfSG) analog. § 56 Abs. 1 gewährt Entschädigungen in Geld für Personen, die Einschränkungen in der Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit ausgesetzt werden und dadurch einen Verdienstausfall erleiden, weil von ihnen persönlich die Gefahr einer Krankheitsverbreitung ausgehen könnte (sogenannte „Störer“).
§ 65 IfSG gewährt Entschädigungen, wenn Gegenstände aufgrund von Maßnahmen nach §§ 16 und 17 IfSG wirtschaftlich beeinträchtigt werden. Nach überwiegender Ansicht ist keiner dieser Tatbestände auf die hier behandelten Fälle direkt anwendbar (vgl. etwa Landgericht (LG) Hannover, Urteil vom 9. Juli 2020 – 8 O 2/20). Demnach ist § 56 Abs. 1 IfSG nicht einschlägig, weil es sich bei den betroffenen Unternehmen nicht um Störer handelt. § 65 IfSG greift nicht ein, weil Betriebsschließungsanordnungen nach allgemeiner Auffassung nicht auf §§ 16 und 17 IfSG, sondern auf §§ 28 ff. (§ 32) IfSG zu stützen waren. Infolgedessen wird teilweise die analoge Anwendung beider Vorschriften vertreten. Demnach soll § 56 Abs. 1 IfSG entsprechend auf Nichtstörer, § 65 IfSG entsprechend auf Maßnahmen nach §§ 28 ff. IfSG angewendet werden.
Im Ergebnis sollen die Analogien Ansprüche der von Betriebsschließungsanordnungen betroffenen Unternehmen begründen. Die Rechtsprechung hat sich noch nicht gefestigt, scheint Analogien aber tendenziell kritisch zu sehen (vgl. LG Hannover, Urteil vom 9. Juli 2020 – 8 O 2/20; LG Heilbronn, Urteil vom 29. April 2020 – I-4 O 82/20). Bemerkenswert ist, dass das LG Hannover in seinem oben genannten Urteil das Analogiebedürfnis hinsichtlich § 65 IfSG verneint, sich aber in anderem Zusammenhang hinsichtlich einer wichtigen Folgefrage, die sich bei Bejahung der Analogie stellen würde, nämlich ob ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 14 GG vorliegt, zustimmend äußert, wenngleich unter ausdrücklicher Offenlassung der Frage.
Amtshaftungsansprüche
Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG setzen voraus, dass durch hoheitliches Handeln schuldhaft drittschützende Amtspflichten verletzt und dadurch Schäden verursacht wurden und auf andere Weise kein Ersatz erlangt werden kann. Soweit es um Rechtsverordnungen geht, erkennt die Rechtsprechung solche Amtshaftungsansprüche aber nur in engen Grenzen an. Wichtige Voraussetzung ist jedenfalls, dass die Maßnahme – hier die Betriebsschließungsanordnung – rechtswidrig war. Das ist in jedem Einzelfall anhand der Ermächtigungsgrundlage nach dem IfSG zu prüfen.
In einer Vielzahl von Eilverfahren hat sich die Rechtsprechung mit der Frage bereits summarisch auseinandergesetzt. Aufschlussreich daran ist, dass sie die allgemeine Schließung bestimmter Betriebe zur Pandemiebekämpfung nicht generell für rechtswidrig zu halten scheint. Die Vermutung einer Rechtswidrigkeit wurde jeweils auf Detailfehler, prominent vor allem Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot, gestützt. Im Einzelfall erscheint es nicht ausgeschlossen, dass im gegebenen Kontext bestimmte Ersatzansprüche nach den Grundsätzen der Amtshaftung durchgesetzt werden können.
Entschädigungen nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht für Nichtstörer
Ansprüchen nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht beruhen regelmäßig auf bundeslandspezifischen Regelungen. Diese enthalten Entschädigungsansprüche für Personen, die für eine Gefahr nicht verantwortlich sind, in deren Rechte zur Abwehr der Gefahr aber durch polizeiliche Maßnahmen eingegriffen wird. Der Rückgriff auf solche Vorschriften wird in der hier behandelten Diskussion teilweise für möglich gehalten, teilweise abgelehnt. Das LG Heilbronn (Urteil vom 29. April 2020 – I-4 O 82/20) hat einen Rückgriff auf § 55 des baden-württembergischen Polizeigesetzes abgelehnt. Auch das LG Hannover (Urteil vom 9. Juli 2020 – 8 O 2/20) verneinte eine Anwendung des § 80 des niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes. Beide Gerichte verwiesen unter anderem auf eine vorrangige abschließende Regelung durch § 65 IfSG. Teile der Literatur kritisieren die Argumentation.
Entschädigungen wegen enteignenden und enteignungsgleichen Eingriffs
Bei unmittelbaren rechtswidrigen Eingriffen in das Eigentum kommen Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff in Betracht. Unter anderem muss die Maßnahme – also die Schließungsanordnung – als rechtswidrig zu bewerten sein (siehe oben). Ferner wird im Einzelfall zu klären sein, ob ein unmittelbarer Eingriff in den „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ vorliegt. Das mag abhängig von der Maßnahme unterschiedlich zu beurteilen sein, ist bei einer konkreten Schließungsanordnung also eher zu bejahen („ob“), bei der Anordnung bestimmter Sonderregeln („wie“), etwa über Abstandsgebote, eher zu verneinen. War die Maßnahme rechtmäßig, kommt ein Ersatzanspruch wegen enteignenden Eingriffs in Betracht.
Dann muss die Belastung als „Sonderopfer“ erscheinen. Dies wird am Einzelfall beurteilt. Dass die hier thematisierten Beeinträchtigungen sich als Sonderopfer darstellen können, erscheint vertretbar, wird aber wegen der Streubreite der Maßnahmen teilweise bezweifelt und ist derzeit umstritten. Das LG Hannover (siehe oben) lehnte die Anerkennung eines Sonderopfers ab und verweist ferner darauf, dass das Rechtsinstitut nach dem BGH nur auf einzelfallbezogene Beeinträchtigungen zur Anwendung kommen könne.
Pandemiebedingte Betriebsschließung - Praxis-Hinweise
Die Frage, ob von allgemeinen Betriebsschließungsanordnungen betroffene Unternehmen zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den Staat berechtigt sind, wird aktuell kontrovers diskutiert. Erwägungen zu anderen betriebsbeeinträchtigenden Anordnungen werden sich an den dargestellten Bahnen orientieren. Anhängige Verfahren deuten darauf hin, dass sich die Rechtsprechung mit der Thematik intensiv zu befassen haben wird. Eine „Goldene Brücke“ zur Begründung von Ansprüchen hat sie geschädigten Unternehmen bisher nicht gebaut.
Dagegen lässt sie eine Tendenz erkennen, die angeordneten allgemeinen Betriebsschließungen nicht für grundsätzlich rechtswidrig zu halten. Dennoch erscheint die Durchsetzung von Ansprüchen im Einzelfall umstandsabhängig derzeit möglich. Es bleibt zu hoffen, dass die Rechtsprechung frühzeitig zu einer einheitlichen Linie finden wird. Die zahlreichen Streitfragen lassen ihr dabei einigen gestalterischen Raum. Es mag sein, dass dieser genutzt wird, um politisch für sinnvoll erachteten Ergebnissen zum Durchbruch zu verhelfen. Mit Prognosen ist daher Vorsicht geboten. Dies vorausgeschickt erscheint die allgemeine Anerkennung einer Ersatzpflicht sämtlicher wirtschaftlicher Nachteile infolge angeordneter allgemeiner Betriebsschließungen eher unwahrscheinlich, während es für besondere Fälle zur Entwicklung spezifischer Fallgruppen von Ersatzansprüchen kommen mag.