Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in vier wichtigen Entscheidungen im vergangenen Jahr (Rs. C-274/15 vom 4. Mai 2017; RS C-616/15, Rs. C-605/15 und Rs. C-326/15 vom 21. September 2017) die Rahmenbedingungen für die sogenannte „Kostengemeinschaft“ in der Umsatzsteuer konkretisiert. Die Urteile können eine erhebliche Bedeutung für die Umsatzbesteuerung von Kooperationen zwischen steuerbegünstigten Körperschaften entfalten.
Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Europäischen Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) müssen die EU-Mitgliedsstaaten Dienstleistungen, die selbstständige Zusammenschlüsse von Personen, die eine umsatzsteuerfreie Tätigkeit ausüben, an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der Ausübung der umsatzsteuerfreien Tätigkeit erbringen, von der Umsatzsteuer befreien, soweit diese Zusammenschlüsse von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern. Weitere Voraussetzung ist, dass diese Umsatzsteuerbefreiung nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führt. Im deutschen Umsatzsteuerrecht wurde diese Vorschriftin § 4 Nr. 14 Buchst. d UStG nur sehr rudimentärals ärztliche Apparategemeinschaft umgesetzt. Durch die Urteile ist deutlich geworden, dass der Anwendungsbereich der europäischen Vorschrift aber deutlich weiter gezogen ist. Durch die systematische Stellung des Artikels 132 in der MwStSystRL im Kapitel über Tätigkeiten, die dem Allgemeinwohl dienen, wird deutlich, dass die Umsatzsteuerbefreiung für die Kostengemeinschaften im gesamten Bereich der gemeinwohlfördernden Tätigkeiten Anwendung findet.
Die Befreiung kann von „selbständigen Zusammenschlüssen“ in Anspruch genommen werden, wobei diese Zusammenschlüsse eigenständige umsatzsteuerliche Unternehmer sein müssen. Die Leistungen der Zusammenschlüsse müssen außerdem unmittelbar für die umsatzsteuerfreien Tätigkeiten der Mitglieder verwendet werden. Der EuGH schließt nicht aus, dass die Mitglieder der Zusammenschlüsse auch steuerpflichtige Leistungen erbringen – eine Umsatzsteuerbefreiung gibt es aber nur, soweit Leistungenunmittelbar in die umsatzsteuerfreien Leistungen der Mitglieder, beispielsweise in eine Krankenhausbehandlung oder Betreuungsleistung, eingehen. Insbesondere sind auch Mischleistungen nicht von der Umsatzsteuer befreit. Der Unmittelbarkeitsbegriff wird in der Praxis aber zahlreiche Fragen und Unsicherheiten auslösen, da an dieser Stelle schwierige Abgrenzungsprobleme zu klären sind, wie beispielsweise der Umgang mit Gemeinkosten oder die für den Zusammenschluss nicht immer transparente Verwendung der (Vor-)leistung bei dem empfangenden Mitglied. Auch der Begriff der Wettbewerbsverzerrung dürfte künftig streitanfällig sein. Die Steuerbefreiung fällt nach der Richtlinien-Vorschrift weg, wenn durch die Befreiung der Wettbewerbverzerrt wird. Dies ist in der Praxis aber häufig nicht eindeutig zu beantworten und wird wohl zu Diskussionen mit der Finanzverwaltung im Einzelfall führen.
Praxis-Hinweis
Die Europäische Richtlinie gibt einen deutlich größeren Anwendungsbereich für die umsatzsteuerfreie
Leistungserbringung im Rahmen einer selbständigen Kostengemeinschaft vor, als es das derzeitige nationale Umsatzsteuerrecht vorsieht. Solange der nationale Gesetzgeber die Richtlinien-Vorschrift nicht adäquat in nationales Recht umgesetzt hat, kann sich der Steuerpflichtige grundsätzlich unmittelbar auf die Richtlinie berufen. Dies ist insbesondere für steuerbegünstigte Körperschaften, die ihrerseits umsatzsteuerfreie Umsätze erbringen, eine Chance, Vorleistungen im Rahmen einer Kooperation mit anderen umsatzsteuerfrei zu beziehen. Die Voraussetzungen hierfür sind jedoch streng, zum Teil auch noch streitanfällig und somit für den Einzelnen risikobehaftet. Eine entsprechende Gestaltung muss daher gut geplant werden und ggf. in Abstimmung mit der Finanzverwaltung erfolgen. Gerne helfen wir Ihnen bei Fragen hierzu weiter.