Das System von Verhandlung, Schiedsstelle und Gericht in der Eingliederungshilfe

Die Findung einer leistungsgerechten Vergütung für Leistungen der Eingliederungshilfe soll, so der Gesetzgeber, zwischen den Leistungserbringern und den Leistungsträgern verhandelt werden, um einen adäquaten Marktpreis zu ermitteln. Wenn keine Einigung über diesen Preis der Leistung zu Stande kommt, kann die Schiedsstelle angerufen werden. Gegen deren Schlichtungsspruch ist Klage vor den Landessozialgerichten möglich.


Das Schiedsverfahren dient der Schlichtung und soll möglichst eine Einigung zwischen den Vertragsparteien herbeiführen. Die Schiedsstelle soll, als Organ der Vertragshilfe, einen weitgehenden Interessensausgleich zwischen den Parteien herstellen und ist paritätisch mit Vertretern der Leistungserbringer und der Leistungsträger sowie einem unparteiischen Vorsitzenden besetzt.
 

Schiedsstelle frühzeitig anrufen

Fundierte Kenntnisse über das Verhandlungssystem und die Möglichkeiten des Rechtsschutzes werden immer wichtiger, da die stark ansteigenden Kosten den Finanzierungswillen der Leistungsträger immer mehr hemmen. Selbst Entscheidungen der Schiedsstelle, die eindeutig und nachvollziehbar zu Gunsten der Leistungserbringer ausfallen, werden immer häufiger seitens der Leistungsträger beklagt.

Aus zahlreichen Gründen ist es für die Leistungserbringer dennoch wichtig, die Chancen zu nutzen, die sich aus dem System von Schiedswesen und Rechtsschutz ergeben:

  • Das Schiedssystem wurde geschaffen, um die Verhandlungsmacht der Leistungsträger einzudämmen und Verhandlungsdisparitäten auszugleichen, es dient also gerade der Stärkung der Interessen der Leistungserbringer. Folgt der Leistungsträger den berechtigten Forderungen der Leistungserbringer nicht, sollte das also nicht einfach akzeptiert werden. Zieht man zusätzlich in Betracht, dass die Prüfung der Angemessenheit der Kosten anhand eines Vergleichs mit anderen Leistungserbringern erfolgt (sogenannter externer Vergleich), wird deutlich, dass derjenige, der seine berechtigten Forderungen nicht durchsetzt, nicht nur für sich selbst, sondern auch für alle anderen Leistungserbringer schlecht verhandelt.
  • Rechtlich unstrittig ist mittlerweile, dass Vergütungssätze rechtssicher nur für einen prospektiven Zeitraum verhandelt werden können. Vereinbarungen, die auf die Vergangenheit zurückwirken, sind also nicht zulässig. Auch die Schiedsstelle darf einen Vergütungssatz lediglich mit Wirkung ab dem Tag ihres Anrufs festsetzen. Die Schiedsstelle ist also so früh wie möglich anzurufen. Mit jedem Tag, der zwischen dem möglichen und dem tatsächlichen Anruf der Schiedsstelle vergeht, gibt man den Rechtsanspruch auf die vor der Schiedsstelle geeinte Vergütung auf.
     

Häufige Gegenargumente von Leistungserbringern

Uns werden von Leistungserbringern immer wieder drei Gründe genannt, um die Schiedsstelle nicht anzurufen:

  • In der Zwischenzeit fehlt die Liquidität

Dieser Grund ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht stichhaltig. Die bisherige Vergütung wird weitergeführt bis zur Entscheidung. Die „fehlende Liquidität“ betrifft lediglich den Erhöhungsbetrag. Würde man einen Abschluss mit fehlender Rendite zu Gunsten einer höheren Liquidität akzeptieren, hätte dies langfristig negative Auswirkungen. Fehlende Liquidität auf Zeit lässt sich gegebenenfalls ausgleichen, fehlende Rendite nicht!

  • Bei der Schiedsstelle muss man alles offenlegen. Das ist viel Arbeit und am Ende bekommt man nicht, was einem zusteht.

Auf Basis unserer praktischen Erfahrungen können wir dieses Argument nicht bestätigen. Die Schiedsstelle ist dazu da, eine Einigung zu bestimmten Forderungen zu erzielen. Nur diese sollte man daher vortragen, und nur diese sind zu erläutern. Wird bereits die Verhandlung mit den Leistungsträgern gut vorbereitet, so ist der Mehraufwand für die Schiedsstelle zu vernachlässigen. Erfahrungsgemäß gibt es im Übrigen kaum Sprüche von Schiedsstellen, die zu Lasten der Leistungserbringer gehen.
 

Fehlende Konfliktbereitschaft

Oftmals besteht auf Seiten der Leistungserbringer nicht der Wille, den Konflikt einzugehen und auch durchzustehen. Dies ist zwar menschlich nachvollziehbar, darf aber nicht der Maßstab für Vergütungsentscheidungen sein. Der Gesetzgeber hat den Leistungserbringern die Möglichkeiten gegeben, ihre berechtigten Forderungen durchzusetzen. Wenn diese ihre vorhandenen Möglichkeiten nicht nutzen, so ist dies letztendlich das Signal an Leistungsträger und Politik, dass es finanziell „schon nicht so schlimm aussieht.“
 

Klagemöglichkeit und vorläufiger Rechtsschutz

Gelingt es im Schiedsstellenverfahren nicht, zwischen den Vertragsparteien eine Einigung zu erzielen, bleibt, da ein Vorverfahren nicht vorgesehen ist, nur der gerichtliche Rechtsschutz gegen die Entscheidung der Schiedsstelle unmittelbar beim Landessozialgericht (LSG). Verklagt wird nicht die Schiedsstelle, sondern der Vertragspartner.

Ob die Entscheidung der Schiedsstelle bereits vor der Gerichtsentscheidung umzusetzen ist, hängt von den rechtlichen Regelungen zur sogenannten aufschiebenden Wirkung ab, die bei Entscheidungen der Schiedsstelle bestehen. Liegt eine aufschiebende Wirkung vor, bedeutet dies, dass sich aus der Entscheidung der Schiedsstelle keinerlei Folgen ergeben. Hierzu ist in Nordrhein-Westfalen in der Landesschiedsstellenverordnung, die für die Eingliederungshilfe gilt, in § 11 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 bestimmt, dass eine Klage gegen die Entscheidung der Schiedsstelle keine aufschiebende Wirkung hat. Allerdings gibt es eine Entscheidung des LSG NRW vom 25. März 2024 – L 9 SO 63/24 ER –, die von der Nichtigkeit der genannten Regelung ausgeht, weil § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG bestimme, dass eine aufschiebende Wirkung nur durch Bundesrecht und somit nicht durch eine Landesschiedsstellenverordnung geregelt werden darf. Dies bedeutet im Ergebnis, dass eine Klage gegen die Entscheidung der Schiedsstelle doch aufschiebende Wirkung hat und sich somit aus ihr vorerst keine Folgen ergeben: Die bisherige Vereinbarung gilt weiter, bis eine neue Vereinbarung in Kraft tritt. Die Leistungserbringer haben allerdings die Möglichkeit, zu versuchen, gerichtlich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die sofortige Vollziehung der Entscheidung der Schiedsstelle zu erreichen.
 

Fazit

Es täte der gesamten Eingliederungshilfe gut, ihre berechtigten Forderungen gegenüber den Leistungsträgern durchzusetzen – und zwar gegebenenfalls mit dem zügigen Anruf der Schiedsstelle und gerichtlicher Unterstützung. Jüngst hat einer unserer Mandanten nach zähem Verlauf eine rückwirkende Zahlung von über einer Million Euro von der Schiedsstelle zugesprochen bekommen. In NRW hat die Schiedsstelle im Bereich der er­weiterten existenzsichernden Leistungen sehr umfassend zugunsten der Leistungserbringer entschieden. Gemeinsam ist beiden Fällen, dass die Leistungserbringer ihren Rechtsanspruch auf die Zahlungen dauerhaft aufgegeben hätten, wenn sie die ihnen zur Verfügung stehen- den Mittel nicht genutzt hätten. Folgende Empfehlungen lassen sich daraus ableiten:

Bereiten Sie die Vergütungsverhandlungen sorgfältig und sachgerecht vor. Wir bieten hierzu regelmäßig Seminare an und beraten Sie gerne.

Zögern Sie nicht, bei einem Scheitern der Vergütungsverhandlungen unverzüglich die Schiedsstelle anzurufen.

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Leitung Geschäftsfeld Unternehmensführung und Unternehmenssteuerung

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