CSRD im Wandel – Herausforderungen für große Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft

Die Europäische Union treibt mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) einen der bedeutendsten Reformprozesse in der Unternehmensberichterstattung seit Jahrzehnten voran. Ziel ist es, Kapitalströme nachhaltiger zu lenken, Transparenz zu schaffen sowie soziale und ökologische Risiken systematisch zu adressieren. Zugleich wächst der Druck, Regulierungsdichte und Bürokratielasten zu hinterfragen. Mit dem „Omnibus-Verfahren“ und insbesondere der Zustimmung des Europäischen Parlaments zum sogenannten „Stop-the-Clock“-Vorschlag der EU-Kommission wird nun die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung in wesentlichen Teilen aufgeschoben. Gerade für große Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft, die bislang eine Berichtspflicht ab dem Geschäftsjahr 2025 erwarteten, bringt dies neue Spielräume – aber auch strategische Unsicherheit.


Anders als kapitalmarktorientierte Unternehmen sind große Akteure der Gesundheits- und Sozialwirtschaft in der Regel als gemeinnützige GmbHs oder kommunal geprägte Konzernstrukturen organisiert. Ihre Aktivitäten sind überwiegend auf das Bundesgebiet beschränkt, oftmals mit mehr als tausend Mitarbeitern in medizinischen, pflegerischen oder sozialen Einrichtungen. Aufgrund ihrer Größe fielen viele von ihnen unter die CSRD-Pflicht ab dem Geschäftsjahr 2025. Entsprechend wurden erste Projekte zur ESG-Verantwortung, Wesentlichkeitsanalyse oder Berichtsvorbereitung aufgesetzt. Die Verschiebung der CSRD-Verpflichtung trifft diese Organisationen inmitten ihrer Aufbauarbeit.
 

Politische Zielsetzung und Stand des Omnibus-Verfahrens

Das sogenannte Omnibus-Verfahren ist Ausdruck eines politischen Zielkonflikts: Auf der einen Seite steht das Bestreben der EU, Nachhaltigkeitsinformationen umfassend zu regulieren und die Kapitalmärkte mit belastbaren ESG-Daten zu versorgen. Auf der anderen Seite wächst die Kritik wegen der hohen Bürokratiekosten, der Überforderung von KMU und mangelhaften Umsetzungskapazitäten. Die Europäische Kommission reagierte darauf Ende Februar 2025 mit zwei Richtlinienvorschlägen: Der erste (COM(2025)80 final) – auch als „Stop-the-Clock“-Vorschlag bezeichnet – sieht vor, die Berichtspflicht für große Unternehmen, die ab dem 1. Januar 2025 betroffen wären („zweite Welle“), um zwei Jahre zu verschieben.

Der zweite Vorschlag (COM(2025)81 final) zielt auf strukturelle Erleichterungen: die Anhebung des Schwellenwertes auf 1.000 Mitarbeiter, die Einschränkung der Sorgfaltspflichten entlang der Wertschöpfungskette auf direkte Geschäftspartner und die Einführung eines freiwilligen Standards (VSME) sollen die Umsetzung vereinfachen. Das Europäische Parlament hat dem ersten Vorschlag am 3. April 2025 zugestimmt. Nach der Veröffentlichung der Richtlinie am 16. April 2025 im EU-Amtsblatt hat die neue Bundesregierung die Vorgaben bis zum 31. Dezember 2025 in nationales Recht umzusetzen.
 

Auswirkungen auf Planung und Umsetzung in der Praxis

Für große Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft bedeutet die Verschiebung mehr Zeit – aber keine Entwarnung. Viele Träger hatten ihre Planungen auf eine verpflichtende Berichterstattung für das Geschäftsjahr 2025 ausgerichtet. Die Entscheidungen über Personalressourcen, Softwarelösungen oder Projektorganisationen sind bereits erfolgt. Die neue Unsicherheit führt zu der Frage, welche Richtung eingeschlagen werden sollte: Sollen bestehende Vorbereitungen zurückgefahren, gestoppt oder fortgeführt werden? Besonders problematisch ist die Lage für Einrichtungen, die Konzernbestandteil einer Muttergesellschaft sind, deren Verpflichtung weiterhin bestehen bleibt. Auch ohne eigenständige Berichtspflicht kann dann die Zuarbeit zur Konzernberichterstattung erforderlich sein.

Die Entscheidung, ob ein ESG-Berichtsprojekt fortgeführt wird, muss grundsätzlich differenziert getroffen werden. Kriterien wie der aktuelle Projektstand, vorhandene Ressourcen, der Druck von Stakeholdern (z. B. Aufsichtsbehörden, Zuwendungsgebern, Banken, Gesellschaftern) und die Möglichkeit der freiwilligen Berichterstattung sollten in die Bewertung einfließen. Auch mögliche zukünftige gesetzliche Anforderungen – etwa im Zusammenhang mit Finanzierungsvorgaben oder öffentlichen Ausschreibungen – sollten in diese Überlegungen einbezogen werden. Viele Träger erkennen zudem, dass ESG-Aspekte auch jenseits gesetzlicher Vorgaben an Relevanz gewinnen – etwa bei der Positionierung im Wettbewerb um Fachkräfte, in der öffentlichen Wahrnehmung oder zur strategischen Weiterentwicklung des eigenen Leitbilds.
 

Typische Herausforderungen großer Gesundheitsträger im Umgang mit ESG

Im Zentrum der ESG-Implementierung steht der Aufbau eines funktionierenden Berichtssystems. Viele große Sozialunternehmen berichten von strukturellen Hürden: Die ESG-Zuständigkeit ist oft nicht eindeutig geklärt, eine zentrale Steuerung fehlt. Personal mit fundierter Nachhaltigkeits- oder Reporting-Erfahrung ist schwer zu gewinnen. Die IT-Systemlandschaft ist heterogen, relevante Daten zu Personal, Energieverbrauch oder Governance-Fragen liegen nur fragmentarisch vor. Hinzu kommt eine gewisse Zurückhaltung in den Führungsgremien – ESG wird noch nicht durchgängig als Chefsache behandelt.

Gerade in Einrichtungen mit Konzernstruktur ist zudem eine Abstimmung zwischen Holding und operativen Gesellschaften erforderlich. Die Einführung einer ESG-Software wird durch Schnittstellenprobleme erschwert. Zahlreiche Einrichtungen berichten, dass ESG-Themen neben dem Tagesgeschäft kaum zu stemmen sind. Der organisatorische Aufbau – etwa durch Nachhaltigkeitsbeauftragte, Stabsstellen oder Querschnittsarbeitsgruppen – ist oft noch nicht erfolgt. Hinzu kommen Unsicherheiten im Umgang mit der Taxonomieverordnung, die bei vielen Einrichtungen aufgrund der Mitarbeiterschwelle eigentlich keine Anwendung findet, aber über die Konzernstruktur oder durch Finanzierungsanforderungen dennoch eine Rolle spielen kann. Auch das Verständnis für die Verzahnung von ESG mit strategischen Planungsprozessen ist vielerorts noch wenig ausgeprägt.
 

Erste Einblicke aus der CSRD-Berichterstattung großer Unternehmen

Die ersten Nachhaltigkeitsberichte nach CSRD, die von großen kapitalmarktorientierten Unternehmen im Frühjahr 2025 veröffentlicht wurden, zeigen klare Trends: Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse ist zentraler Ausgangspunkt und wurde fast durchweg mit externer Beratung durchgeführt. Stakeholderdialoge, Impactbewertungen und Risikoanalysen wurden strukturiert aufbereitet. Zudem wurde der Aufbau einer internen ESG-Governance sichtbar: ESG wurde auf Vorstandsebene oder direkt unterhalb angesiedelt, mit klaren Berichtspflichten.

Auch das Datenmanagement wurde systematisch angegangen. Viele Unternehmen nutzen spezielle ESG-Softwarelösungen und haben interne Datenteams etabliert. Inhaltlich wurden im ersten Jahr klare Handlungsfelder identifiziert – von Klima und Energie über Beschäftigtenbelange bis hin zu Integrität und Compliance. Auffällig ist der hohe Integrationsgrad in Unternehmensstrategie und Risikomanagement. Die Berichterstattung wird häufig in Form eines integrierten Berichts aufgesetzt, der ESG- und Finanzbericht eng miteinander verzahnt. Diese Erfahrungen lassen sich zwar nicht 1:1 auf die Sozialwirtschaft übertragen, bieten aber wichtige Orientierung im Hinblick auf methodisches Vorgehen, Projektstruktur und Ressourcenbedarf. Insbesondere zeigen sie, dass die interne Verankerung des Themas über das Berichtsteam hinaus erfolgsentscheidend ist.
 

Handlungsempfehlungen für große Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft

Auch wenn die Berichtspflicht erst 2027 greift: Für große Einrichtungen empfiehlt sich ein klar strukturierter Fahrplan. Als erster Schritt sollte eine qualitative doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchgeführt werden. Diese schafft Klarheit über relevante Themen und hilft, Ressourcen gezielt zu steuern. Parallel sollte eine Entscheidung über organisatorische Zuständigkeiten getroffen werden – ob über eine Stabsstelle, eine interdisziplinäre Projektgruppe oder eine ESG-Verantwortung in der Geschäftsführung.

Darüber hinaus sollte der Aufbau eines ESG-Datenmodells vorbereitet werden – auch ohne unmittelbare Softwarepflicht. Bestehende Systeme sollten auf ihre ESG-Tauglichkeit hin überprüft und manuelle Datenerhebungen vorübergehend in Kauf genommen werden. Wichtig ist auch die Sensibilisierung der Führungs- und Aufsichtsgremien. Schulungen, Workshops oder Informationsveranstaltungen können helfen, ESG als strategische Aufgabe zu verankern. Auch über die Verzahnung von ESG-Zielen mit bestehenden Steuerungsinstrumenten – etwa im Rahmen der Wirtschaftsplanung, des internen Kontrollsystems oder der Personalentwicklung – sollte nachgedacht werden.

Schließlich kann eine freiwillige ESG-Berichtserstattung – etwa in Anlehnung an den VSME-Standard (siehe hierzu auch die Ausführungen auf S. 32 ff. dieser Ausgabe) oder in Form eines vorgezogenen Prototyps – ein sinnvoller Zwischenschritt sein. Sie schafft interne Klarheit, erhöht die externe Glaubwürdigkeit und bereitet auf eine spätere Pflicht vor. Denkbar ist zudem, einzelne ESRS-Kennzahlen oder strategische ESG-Ziele in die bestehende Berichterstattung zu integrieren, etwa in den Lagebericht oder in einen erweiterten Geschäftsbericht.
 

Fazit

Die Verschiebung der Berichtspflicht durch das Omnibus-Verfahren darf nicht als Einladung zur Untätigkeit verstanden werden. Vielmehr bietet sie großen Trägern der Gesundheits- und Sozialwirtschaft die Möglichkeit, ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung strukturiert, effizient und anforderungsgerecht aufzubauen. Wer die Zeit bis 2027 klug nutzt, schafft nicht nur einen konformen Bericht, sondern entwickelt ESG als Führungsinstrument – für Transparenz, Strategie und Wirkung. Nachhaltigkeit wird damit nicht nur zur Berichtspflicht, sondern zum Ausdruck werteorientierter Unternehmensführung. Sie wird – richtig verankert – zum strategischen Hebel für zukunftsfähige Versorgung, wirksame Kommunikation und ein modernes Arbeitgeberprofil.

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Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Partner, Niederlassungsleitung Freiburg
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Wirtschaftsprüfer, Partner, Leitung Grundsatzabteilung, Leitung KompetenzTeam Krankenhäuser

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