Wer infektionsbedingt einem Verbot in der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit unterliegt und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG eine Entschädigung. Wenn Arbeitnehmer betroffen sind, bestimmt § 56 Abs. 6 IfSG, dass der Arbeitgeber die Entschädigung auszuzahlen hat. Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet. In Nordrhein-Westfalen haben die Landschaftsverbände lange Entschädigungszahlungen geleistet, seit einigen Monaten werden die Erstattungsanträge zurückgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 20. März 2024 – 5 AZR 234/23 – festgestellt, dass eine Coronainfektion auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit im Sinne von § 3 Abs. 1 EntgFG darstellt. Dies hat zur Folge, dass die Entgeltfortzahlung greift. Für § 56 IfSG bleibt dann kein Raum, weil der Arbeitnehmer keinen Verdienstausfall mehr hat. Was ist zu tun?
Der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht
Ein ungeimpfter Mitarbeiter eines Unternehmens erkrankte an Corona und wurde von der Gemeinde für zwei Wochen unter häusliche Quarantäne gestellt. Nach sechs Tagen klangen die Krankheitssymptome der Coronainfektion ab und der behandelnde Arzt stellte keine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus. Da die behördliche Quarantäneauflage weiter andauerte, konnte der Mitarbeiter die Arbeit trotz Symptomfreiheit nicht wieder aufnehmen. Der Arbeitgeber zahlte bis zum Ablauf der Quarantäne keine weitere Vergütung. Der Mitarbeiter klagte auf Zahlung des Lohns. Das BAG gab ihm in dritter Instanz recht. Es stellte fest, dass der Kläger aufgrund einer Krankheit an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert war. Es komme nicht darauf an, ob Symptome von COVID-19 vorlagen. Die Quarantäneanordnung sei keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruhe das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion. Diese habe es dem Kläger rechtlich unmöglich gemacht, die geschuldete Arbeitsleistung, die auch nicht im Homeoffice erbracht werden konnte, zu erbringen. Das BAG – genauer der 5. Senat – hat festgestellt, dass Arbeitnehmern, die an Corona erkrankt sind und aufgrund eines Beschäftigungsverbots die vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht ausüben können, ein Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz zusteht.
Konsequenz in der behördlichen Entschädigungspraxis und verwaltungsgerichtlichen Kontrolle
Aufgrund der vorgenannten Entscheidung des BAG lehnen die Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen Erstattungsanträge von Arbeitgebern für geleistete Zahlungen während einer Quarantäneanordnung ab. Erste Verwaltungsgerichte bestätigen die neue Rechtspraxis. So hat beispielsweise das Verwaltungsgericht (VG) Münster in seinem rechtskräftigen Urteil vom 23. April 2024 – 5 K 2977/22 – festgestellt, dass ein Anspruch auf Entschädigung nach § 56 IfSG nicht bestehe, da die Voraussetzung eines Verdienstausfalls des Arbeitnehmers nicht gegeben sei. Das VG Münster verweist auf die Rechtsprechung des BAG (5. Senat) und schließt sich vollumfänglich dessen Rechtsauffassung an. Mehrere Berufungen gegen erstinstanzliche Urteile der Verwaltungsgerichte in Nordrhein-Westfalen sind beim OVG Münster anhängig; ein Berufungsurteil steht noch aus. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht ist möglich.
Auch hat inzwischen der 9. Senat des BAG in seinem Urteil vom 28. Mai 2024 – 9 AZR 76/22 – in einem urlaubsrechtlichen Kontext entschieden, dass keine Krankheit i. S. d. § 9 BUrlG vorliegt, wenn die Quarantäneanordnung nur aufgrund einer möglichen Ansteckung und somit ohne nachgewiesene Coronainfektion erfolgt. In diesem Fall müsste demnach ein Entschädigungsanspruch nach dem Infektionsschutzgesetz bestehen.
Praxis-Hinweis
Solange es möglich erscheint, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit zukünftig eine Entschädigung nach IfSG zuspricht, sollten weiter Entschädigungsanträge gestellt werden, auch wenn sie im Moment alle abgelehnt werden. Gegen die ablehnenden Bescheide der Landschaftsverbände (oder anderer Behörden in anderen Bundesländern) müsste eigentlich in jedem Einzelfall fristwahrend vor dem zuständigen Verwaltungsgericht geklagt werden. Das bedeutet einen hohen Aufwand für die Betroffenen und eine Klageflut vor den Verwaltungsgerichten. In Nordrhein-Westfalen ist das nicht nötig: In jüngeren Bescheiden weisen die Landschaftsverbände darauf hin, dass sie die abgelehnten Entschädigungsfälle von Amts wegen aufgreifen, wenn sich künftig eine günstigere Rechtslage ergibt. Für ältere Fälle hat das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW mit Schreiben vom 22. August 2024 klargestellt, dass alle ablehnenden Entscheidungen von Amts wegen wieder aufgegriffen werden. So klar ist die Rechtslage im Moment, soweit ersichtlich, nur in Nordrhein-Westfalen. Sofern in anderen Bundesländern keine entsprechende Zusicherung vorliegt, muss dort – um die Rechtskraft der Bescheide zu vermeiden – in jedem Einzelfall Klage vor dem jeweiligen Verwaltungsgericht erhoben werden, wenn auch die Erfolgsaussichten eines Klageverfahrens aufgrund der bisherigen Rechtsprechung gering sind.