Mit Datum vom 20. Februar 2019 hat der Bundesgerichtshof (BGH) in vier Verfahren entschieden, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine für patienten-individuell hergestellte und ambulant verabreichte Krebsmedikamente gezahlte - aber tatsächlich nicht angefallene - Umsatzsteuer von den Krankenhausträgern zurückgewährt werden muss. Dies sei das Ergebnis einer gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung. Zugunsten der Krankenhausträger sei allerdings bei der Rückabwicklung der nachträglich entfallende Vorsteuerabzug zu berücksichtigen (www.bundesgerichtshof.de; Az. VIII ZR 7/18, VIII ZR 66/18, VIII ZR 115/18 und VIII ZR 189/18).
Im Jahr 2007 wurde erstmals von der Finanzverwaltung gefordert, die Umsätze einer Krankenhausapotheke für ambulant abgegebene patientenindividuell hergestellte Medikamente umsatzsteuerpflichtig zu behandeln. Diese Forderung hat die Finanzgerichtsbarkeit und die Finanzverwaltung lange beschäftigt. Nach dem entscheidenden Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. September 2014 (V R 19/11) und einer zwei Jahre später folgenden Verwaltungsanweisung des Bundesfinanzministeriums (BMF-Schreiben v. 28. September 2016) soll die Abgabe im Ergebnis als ein mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz umsatzsteuerfrei sein. Die Krankenhausträger haben aufgrund der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung die Preise für ambulante abgegebene medikamentöse Zubereitungen mit Umsatzsteuer kalkuliert und Rechnungen ausgestellt, die eine Umsatzsteuer von 19 Prozent entweder offen auswiesen oder mit einschlossen, und Umsatzsteuer an die Finanzämter abgeführt. Die privaten Krankenversicherer haben den Patienten diese Rechnungsbeträge nach Versicherungstarif erstattet, aber gegenüber den Krankenhäusern Umsatzsteueranteile zurückgefordert.
Die Berufungsgerichte hatten den geltend gemachten Rückforderungsanspruch zum Teil bejaht, zum Teil verneint und zum Teil in der Höhe des drohenden Wegfalls des auf die Zytostatika-Umsätze entfallenden Vorsteuerabzugs gekürzt. Der BGH hat in seinen offensichtlich von Pragmatismus geprägten Entscheidungen, die eine eher salomonische denn dogmatische Herangehensweise vermuten lassen, alle Berufungsurteile am 20. Februar 2019 aufgehoben und zur neuen Verhandlung zurückverwiesen.
Der VIII. Senat sieht unabhängig von der konkreten Rechnungsgestaltung (Steuerausweis ja/nein) in den streitigen Vereinbarungen stets Bruttopreisabreden. Über die konkrete Vergütungshöhe hätten sich Patienten und Krankenhäuser spätestens mit Rechnungsstellung und vorbehaltloser Zahlung stillschweigend geeinigt. Im Hinblick auf das erwähnte BFH-Urteil und die sich im Anschluss verändernde Auffassung der Finanzverwaltung wiesen diese Vereinbarung jedoch Lücken auf, die nur nachträglich durch ergänzende Auslegung geschlossen werden könnten. Bei Kenntnis der eigentlich richtigen - wenn auch zu dem Zeitpunkt noch nicht ausgeurteilten - steuerlichen Rechtslage hätten Patienten und Krankenhäuser redlicherweise abweichende Preise vereinbart. Dabei kann nicht auf den ursprünglichen Nettopreis abgestellt werden, sondern ist laut BGH zwangsläufig zu berücksichtigen, dass den Krankenhäusern der in Bezug auf die Zytostatika-Umsätze entfallende Vorsteuerabzug bei der Rückabwicklung verloren gehe. Der Preis sei damit lediglich um die Differenz zwischen Umsatzsteueranteil und Vorsteuerabzug zu vermindern.
Ausdrücklich nicht zu berücksichtigen ist laut BGH bedauerlicherweise der den Krankenhäusern im Rahmen der Rückabwicklung entstehende - oft erhebliche - Verwaltungsaufwand. Gleichermaßen sei allerdings auch die zum Teil längere „Verauslagung“ der Umsatzsteuer durch die Patienten bzw. final durch deren Versicherungen irrelevant.
Gesondert zu beurteilen sind nach dem VIII. Senat die Fälle, in denen umsatzsteuerliche Rechnungen mit allen erforderlichen Angaben inkl. Steuerausweis (§ 14 Abs. 4 UStG) ausgestellt worden sind, da deren Rückabwicklung nur im Wege des Berichtigungsverfahrens im aktuellen Veranlagungszeitraum erfolgen kann und den Krankenhäusern daher erhebliche finanzielle Nachteile aus der Festsetzung von Nachzahlungszinsen (§§ 233a, 238 AO) auf den rückwirkend entfallenen Vorsteuerabzug drohen. Dies könne im Einzelfall sogar dazu zu führen, dass die Zinsbeträge die oben dargestellte, rückforderungsfähige Differenz zwischen Umsatzsteueranteil und Vorsteuerabzug „auffressen“. In diesen Fällen scheiden laut BGH eine ergänzende Vertragsauslegung und damit eine Rückforderung der PKV aus.
Die Berufungsgerichte und alle übrigen Zivilgerichte, die eine Entscheidung bzw. weitere Verhandlung von den BGH-Entscheidungen abhängig gemacht haben, müssen nunmehr nach ergänzendem Vortrag der Parteien feststellen, in welchem Umfang die Krankenhäuser in Bezug auf die jeweils streitgegenständlichen Forderungen Vorsteuerabzüge in Anspruch genommen haben. Darüber hinaus sei erforderlichenfalls mit den Finanzämtern abzuklären, ob und inwieweit Nachzahlungszinsen erhoben werden.
Fazit:
Dieses nicht nur „erfreuliche“ Ergebnis erfordert bei den Krankenhäusern nunmehr eine Ermittlung des Vorsteuerabzugs in Bezug auf die jeweils streitgegenständlichen Rechnungen. Wirtschaftlich dürften nach unserer Erfahrung nicht nur die Klageforderungen, sondern auch „einfache“ Vergleiche (50/50) für die Krankenhäuser zu hoch sein. Soweit ein Zinsnachteil mangels Steuerausweises nicht zu erwarten ist, könnten auch mit der PKV Vergleiche auf einer Basis wie im GKV-Bereich in Frage kommen. Leider hatte der BGH im Übrigen bisher keinen Fall zu entscheiden, in dem (Teile der) Steuerfestsetzungen für die streitgegenständlichen Jahre bestandskräftig geworden sind. Dies zeigt, dass auch nach den Karlsruher Entscheidungen die Einzelheiten des jeweiligen Falles von entscheidender Bedeutung sind und einer individuellen Betrachtung bedürfen. Gern unterstützen wir Sie dabei. Sprechen Sie uns an.