In Ausgabe 3/2024 unseres Newsletters berichteten wir über ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, das sich mit der Frage befasste, ob sich ein Betroffener auf Ansprüche nach der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) berufen kann, falls die kirchenrechtlichen Datenschutzregelungen keinen entsprechenden Anspruch vorsehen. Inzwischen liegt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Revisionsverfahren vor. Leider bringt diese Entscheidung (BAG, Urteil vom 17. Oktober 2024 – 8 AZR 42/24) nicht die erhoffte Klarheit über die Konkurrenz zwischen den kirchlichen Datenschutzregelungen (DSG-EKD und KDG) und der DS-GVO.
Der Fall
Die Klägerin war bei der beklagten Kirchengemeinde als Organistin und Chorleiterin beschäftigt. Am 15. Mai 2006 fand bei der Beklagten eine nichtöffentliche Kirchengemeinderatssitzung statt, über die ein Protokoll erstellt wurde. In der Sitzung, an der die Klägerin nicht teilnahm, wurden Vorwürfe gegen die Klägerin erhoben und arbeitsrechtliche Maßnahmen wie der Einsatz der Klägerin als Springerin im gesamten Kirchenbezirk beschlossen. Die Klägerin hatte keine Gelegenheit, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen. Sie versuchte in der Folgezeit erfolglos, Auskunft über den Inhalt der Kirchengemeinderatssitzung zu erlangen. Die Herausgabe einer Kopie des Protokolls wurde ihr gestützt auf § 19 Abs. 2 Kirchengesetz über den Datenschutz der Evangelischen Kirche in Deutschland (DSG-EKD) wegen eines schutzwürdigen Geheimhaltungsinteresses verweigert. Die Klägerin ist der Meinung, ihr stehe ein Anspruch auf Herausgabe einer Kopie des Sitzungsprotokolls aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO zu, da das DSG-EKD insbesondere in § 19 nicht „im Einklang“ mit der DS-GVO stehe und daher die DS-GVO nicht verdränge. Sie argumentiert, dass das Protokoll Teil ihrer Personalakte sei und sie nach § 3 Abs. 5 der Kirchlichen Anstellungsordnung (KAO) sowie nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen ein Recht auf Einsicht und Herausgabe habe, auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte hingegen wendet ein, dass das Protokoll einer nichtöffentlichen Sitzung der Geheimhaltung unterliege und keine Einsichtnahme durch die Klägerin erfolgen dürfe. Zudem sei der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht eröffnet, da es sich um eine kirchliche Angelegenheit handele. Die beiden Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Die Klägerin legte Revision ein.
Die Entscheidung
Das BAG entschied zugunsten der Klägerin. Es stellte fest, dass die Klägerin einen Anspruch auf Herausgabe einer Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats hat, und zwar auf Grundlage von § 3 Abs. 5 KAO i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB sowie dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Das Protokoll der Sitzung sei Teil der materiellen Personalakte der Klägerin sei, da es sich um eine Dokumentation arbeitsrechtlicher Maßnahmen handle, die unmittelbar das Arbeitsverhältnis beträfen. Die Klägerin habe eine Recht auf Einsichtnahme und die Herausgabe einer Kopie des Protokolls, auch wenn es sich um eine nichtöffentliche Sitzung gehandelt habe.
Darüber hinaus stellte das BAG klar, dass der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten im vorliegenden Fall eröffnet sei, da es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit handele, die mit dem Arbeitsverhältnis der Klägerin in Zusammenhang stehe. Die staatlichen Gerichte seien zuständig, um die Anwendung des kirchlichen Rechts in Fällen wie diesem zu überprüfen.
Fazit
Das BAG lässt die Frage, ob das kirchliche Datenschutzrecht die DS-GVO verdrängt, offen, indem es das Einsichts- und Herausgaberecht der Klägerin auf eine andere (weltliche, nicht datenschutzrechtliche) Rechtsgrundlage stützt. Kirchliche Rechtsträger können somit nicht ungeprüft Einsichts- und Herausgabeansprüche aufgrund ihrer kirchlichen datenschutzrechtlichen Vorgaben ablehnen.