Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO): Neuerungen im Gemeinnützigkeitsrecht
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat mit Schreiben vom 20. Dezember 2019 – IV A 3 – S 0062/19/10010 :001 – den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) angepasst. Folgende zwei wesentliche Änderungen mit Bezug zum Gemeinnützigkeitsrecht wurden vorgenommen:
Anwendungserlass zur AO zu § 55
In AEAO zu § 55 – Selbstlosigkeit – wird nach Nr. 9 folgende neue Nr. 10 eingefügt:
§ 55 Nr. 10 neu
Veräußert ein steuerpflichtiger Anteilseigner seine Anteile an einer steuerbegünstigten Kapitalgesellschaft an einen steuerbegünstigten Erwerber[,] liegt regelmäßig eine Mittelfehlverwendung im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO vor, wenn der Veräußerungspreis über dem Wert der eingezahlten Kapitalanteile und dem gemeinen Wert der Sacheinlagen der Anteile liegt (vgl. BFH-Beschluss vom 12.10.2010, I R 59/09, BStBl 2012 II S. 226).
Damit setzt das BMF einen (bereits im Bundessteuerblatt veröffentlichten) BFH-Beschluss aus dem Jahre 2010 um, bei dem der steuerpflichtige Veräußerer einer steuerbegünstigten GmbH zusätzlich zum Kaufpreis in Höhe des Nennbetrages der Anteile weitere Zahlungen über überhöhte Geschäftsführervergütungen erhielt. Sowohl das Finanzgericht als auch der BFH haben im Ergebnis festgestellt, dass ein steuerpflichtiger Gesellschafter einer steuerbegünstigten GmbH insgesamt nicht mehr als den Nominalwert zzgl. den gemeinen Wert etwaiger geleisteter Sacheinlagen erhalten darf – weder direkt und unmittelbar, noch mittelbar. Zahlt ein steuerbegünstigter Erwerber mehr, liegt bei diesem eine Mittelfehlverwendung vor (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 AO).
Insbesondere hat der BFH in dem Verkauf gegen einen solchen „wertigen“ Kaufpreis eine Umgehung des Verbotes gesehen, dass der Gesellschafter keine weitergehenden Ausschüttungen jeglicher Art – weder als Gewinn, noch bei Auflösung der Körperschaft – erhalten darf, wobei es unerheblich ist, ob die Mittel von der erworbenen Gesellschaft oder dem Erwerber ausgeschüttet werden. Ein solches Vorgehen führe jedenfalls zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit sowohl beim Kaufobjekt wie auch beim Käufer.
Anwendungserlass zur AO zu § 55 Fazit
Die Zahlung eines Kaufpreises an steuerpflichtige Veräußerer für den Erwerb steuerbegünstigter Körperschaften ist eindeutig nicht zulässig. Die Anwendung des Urteils und sich daraus eventuell ergebende Folgen auf allseits steuerbegünstigte Beteiligte – Verkäufer, Käufer und Kaufobjekt – ist dagegen ungeklärt. Jedenfalls sind die allgemeinen Grundsätze der (zeitnahen) Mittelverwendung sowohl bei der Zahlung als auch bei der Verwendung des Kaufpreises einerseits sowie bei der eventuellen „Refinanzierung“ des Kaufpreises durch Ausschüttungen des Kaufgegenstandes andererseits zu beachten. Da eine Vielzahl von Fallgestaltungen denkbar ist, sind solche Vorgänge immer steuerlich individuell für den Einzelfall zu würdigen.
Anwendungserlass zur AO zu § 68
Die Nr. 2 des AEAO zu § 68 wurde in Satz 1 und Satz 3 wie folgt geändert:
Unter die Begriffe ‚Alten-, Altenwohn- und Pflegeheime‘ fallen Einrichtungen, die gegenüber denen in § 53 Nr. 1 AO genannten Personen Leistungen der Pflege oder Betreuung sowie der Wohnraumüberlassung erbringen und bei denen die Verträge über die Überlassung von Wohnraum und über die Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen voneinander abhängig sind (siehe §§ 1, 2 WBVG). 2Eine für die Allgemeinheit zugängliche Cafeteria ist ein steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb. 3Für Körperschaften, die nicht die Voraussetzungen des § 68 Nr. 1 Buchstabe a AO erfüllen, kommt eine Förderung unter den Voraussetzungen des § 66 AO in Betracht.
Die bisherige Regelung verwies für die Definition von „Alten-, Altenwohn- und Pflegeheimen“ als Zweckbetrieb nach § 68 Nr. 1 lit. a AO auf § 1 Heimgesetz. Stattdessen werden nunmehr nach dem neuen Satz 1 Einrichtungen erfasst, die entsprechend dem „Gesetz zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen“ – WBVG – voneinander abhängige Leistungen der Pflege oder Betreuung sowie der Wohnraumüberlassung erbringen. Erforderlich für die Anerkennung als Zweckbetrieb nach § 68 Nr. 1 lit. a AO sind also
- die Erbringung von Leistungen gegenüber den in § 53 Nr. 1 AO genannten (hilfsbedürftigen) Personen,
- kombinierte Leistungen der Pflege oder Betreuung sowie der Wohnraumüberlassung und
- eine Verknüpfung und Abhängigkeit der Verträge für die Überlassung von Wohnraum und für die Erbringung von Pflege- und Betreuungsleistungen (§§ 1, 2 WBVG).
Satz 2 ist unverändert.
Die Neufassung des Satzes 1 enthält damit nicht die erhoffte (klarstellende) Festlegung, die in der Behindertenhilfe durch die strukturelle Neufassung der Leistungserbringung nach dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) nunmehr „solitären“ Wohnraumüberlassungen weiterhin als steuerbegünstigt zu definieren, da Satz 1 weiterhin die Verknüpfung der Leistungserbringung von Wohnraum einerseits sowie Pflege und Betreuung andererseits verlangt.
Es läge also nahe, die Lösung hierzu in dem neuen Satz 3 zu suchen, der bisher auf „Leistungen im Rahmen der häuslichen Pflege“ als Zweckbetrieb abstellte, was entfallen ist. Dieser regelt nunmehr, dass bei Fehlen der vorgenannten Voraussetzungen des § 68 Nr. 1 lit. a AO – in den Fällen der isolierten Wohnraumüberlassung an Menschen mit Behinderung die faktische und vertragliche Verknüpfung von Betreuung und Wohnen – eine Förderung unter den Voraussetzungen des § 66 AO in Betracht kommt.
Diese Regelung ist nur mäßig gelungen. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass als „Alten-, Altenwohn- und Pflegeheime“ bezeichneten Einrichtungen nicht nur die „Altenhilfe“ umfassen, sondern nach § 1 Abs. 1 WBVG auch Einrichtungen für die „Überlassung von Wohnraum und [die Verpflichtung] zur Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen …, die der Bewältigung eines durch Alter, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung bedingten Hilfebedarfs dienen“. Damit sind Behinderteneinrichtungen umfasst – aber eben nur für „gekoppelte“ Leistungserbringungen, die nach dem BTHG nicht mehr vorgesehen sind. Fraglich ist, was Satz 3 dann umfasst, denn unter „Körperschaften, die nicht die Voraussetzungen des § 68 Nr. 1 Buchstabe a erfüllen“, können viele fallen, und dass die „Förderung unter den Voraussetzungen des § 66 in Betracht [kommt]“, ist auch nichts Neues. Es muss aber wohl aus dem Zusammenhang gelesen werden, dass „Alten-, Altenwohn- und Pflegeheime“ im Sinne des WBVG – also auch Behinderteneinrichtungen – als Stätten gewöhnlichen Aufenthalts der hilfsbedürftigen Personenkreise auch ohne die Verknüpfung mit Betreuungsleistungen von Satz 3 umfasst sind und damit als „mildtätiger“ Zweckbetrieb denkbar sind.
Darüber hinaus sind aber auch noch die weiteren Voraussetzungen für die Annahme eines Zweckbetriebes zu erfüllen. Ein Zweckbetrieb bedarf nach § 65 Nr. 1 AO eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes, der jedoch nach vereinzelt vertretener Auffassung der Finanzverwaltung bei der ausschließlichen Überlassung von Wohnraum nicht gegeben ist, sondern ausschließlich Vermögensverwaltung im Sinne des §§ 14 S. 3 AO ist.
Reine „Wohnraumüberlassung“ wäre damit wohl steuerbegünstigt, wenn sie über einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb verfügt und die Voraussetzungen des Zweckbetriebs der Wohlfahrtspflege (§ 66 AO) erfüllt. Das „Wohnheim“, insbesondere für behinderte Menschen, muss also im besonderen Maße hilfsbedürftigen Personen im Sinne des § 53 AO dienen.
Anwendungserlass zur AO Fazit
Es könnte sich daher empfehlen, bei isolierter und von der Betreuungseinrichtung rechtlich und vertraglich losgelöster Wohnraumüberlassung diese dem satzungsmäßigen Zweck als „mildtätig“ (§ 53 AO) zu unterwerfen und die Satzung entsprechend auszugestalten. Es wäre damit die „Förderung hilfsbedürftiger Personen durch die Überlassung von Wohnraum“ zur Zweckverwirklichung vorzusehen. Da Satzungsänderungen im Bereich der Zweckbeschreibung immer mit dem Finanzamt abgestimmt werden sollten, kann die Abstimmung obiger Auslegung zugleich mit der Satzungsvorlage erfolgen. Die Überlassung von Wohnraum erfolgt damit nicht (mehr) durch die gemeinnützige Zweckverfolgung der Behindertenhilfe im Sinne des § 52 Abs. 2 Nr. 10 AO – Hilfe für Behinderte.
Allerdings gibt es auch weitere Argumente, die gegen die Annahme eines Zweckbetriebes bei der Überlassung von (behindertengerechtem Wohnraum sprechen – so z.B. die Frage des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes in Abgrenzung zur Vermögensverwaltung bei reinen Vermietungsgeschäften. Die Finanzverwaltung verweist in diesem Zusammenhang gerne auf die angedachten Gesetzesänderung zu § 57 AO zur „körperschaftsübergreifenden Zweckverfolgung“, die der Bundesrat bereits im September 2019 angeregt hatte, die Bundesregierung aber dann im Jahressteuergesetz doch nicht umgesetzt hatte. Diese würde – wenn sie denn kommt – eine klare und saubere Lösung bringen. Es empfiehlt sich, die angekündigte und „versprochene“ Gesetzeslage abzuwarten, bevor weitere Maßnahmen ergriffen werden.
Änderungen im Anwendungserlass zur Abgabenordnung vom 31. Januar 2019
erstellt von Karin Hellwig und Max Hoffmann
Die mit BMF-Schreiben vom 31. Januar 2019 – IV A 3 - S 0062/18/10005 – vorgenommenen Änderungen im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) betreffen zu einem großen Teil die für das Gemeinnützigkeitsrecht einschlägigen §§ 51 bis 68 AO und haben insoweit erheblichen Einfluss auf die Besteuerung steuerbegünstigter Körperschaften. Wir geben einen Überblick über die aus unserer Sicht wesentlichen Neuregelungen.
Eine der wichtigsten Änderungen des AEAO betrifft die Ergänzung der Nr. 2 zu § 55 AO zur Angemessenheit von Entgelten für die von steuerbegünstigten Körperschaften erbrachten Leistungen. Die bereits 2016 neu eingefügte Nr. 2 zu § 55 AO sieht entsprechend dem sogenannten Rettungsdienst- Urteil des BFH vom 27. November 2013 – I R 17/12 – vor, dass bei Leistungsverrechnungen die Vergütung zumindest einen Kostenausgleich sowie einen marktüblichen Gewinnaufschlag beinhalten müsse, wobei bei steuerbegünstigten Einrichtungen aufgrund der fehlenden Gewinnorientierung die Erhebung eines Gewinnaufschlags in der Regel nicht marktüblich sei. Angefügt wurde nun der Satz 5, nach dem dies nicht für Leistungen der steuerbegünstigten Einrichtung aus einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gilt. Die Auffassung, dass bei Leistungsverrechnungen aus einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ein Gewinnaufschlag zu erheben sei, wurde von der Finanzverwaltung teilweise schon zuvor vertreten, allerdings je nach Bundesland unterschiedlich gehandhabt. So sieht etwa die Verfügung der OFD NRW vom 18. Januar 2017 eine differenziertere Beurteilung je nach Fallgestaltung bei Dienstleistungen zwischen steuerbegünstigten Konzerngesellschaften vor. Hier bleibt abzuwarten,
wie sich die Finanzverwaltung nun positionieren wird.
Die AEAO Adaption
Die Neufassung in AEAO Nr. 24 zu § 55 AO greift das BMF-Schreiben vom 21. November 2014 – IV C 4 - S 2121/07/0010: 032 – auf und stellt nochmals klar, dass Vorstandsmitglieder von Vereinen grundsätzlich ehrenamtlich tätig werden und die Zahlung von Tätigkeitsvergütungen eine entsprechende Satzungsregelung erfordert. Mit der Ergänzung in AEAO Nr. 28 zu § 55 AO findet das BFH-Urteil vom 20. März 2017 – X R 13/15 – Berücksichtigung, wonach die Prüfung einer zeitnahen Mittelverwendung steuerbegünstigter Körperschaften nicht durch Betrachtung einzelner Zuwendungen zu erfolgen hat, sondern die Gesamtheit aller zeitnah zu verwendenden Zuwendungen und sonstigen Einnahmen bzw. Vermögenswerte heranzuziehen ist (Saldo- bzw. Globalbetrachtung). Dies erfolgt regelmäßig durch die Abgabe einer Mittelverwendungsrechnung zur jährlichen Steuererklärung.
In AEAO Nr. 1 zu § 58 AO wird die Klarstellung aufgenommen, dass es sich bei den Weitergabe fähigen Mitteln einer Förder- bzw. Mittelbeschaffungskörperschaft nicht nur um solche handelt, die bereits mit dem Ziel der Weitergabe beschafft wurden, sondern dass bei entsprechender Satzungsbestimmung sämtliche Mittel weitergegeben werden dürfen, sofern die Satzungszwecke des Mittelgebers und des Mittelempfängers übereinstimmen.
Die neue und umfassende Regelung der Nr. 13 zu § 64 AO grenzt die reine Beschäftigungsgesellschaft i. S. e. Selbstzwecks von einem steuerbegünstigten Zweckbetrieb ab. Abgrenzungsmerkmal ist hiernach, dass die in der Gesellschaft Beschäftigten durch die Maßnahme in erster Linie Qualifizierungs-, Umschulungs- und soziale Betreuungsmaßnahmen erfahren. Es kann ein Zweckbetrieb nach § 65 AO vorliegen, soweit die mit dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb regelmäßig einhergehende Herstellung und der Verkauf von Waren bzw. Dienstleistungen nicht den Umfang überschreitet, der zur Erfüllung der beruflichen Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen erforderlich ist.
In der neuen Nr. 9 zu § 66 AO wird festgestellt, dass der Einzelverkauf gesammelter Kleidungsstücke einer Kleiderkammer ein steuerbegünstigter Zweckbetrieb nach § 66 AO sein kann, wenn mindestens zwei Drittel der Leistungen hilfebedürftigen Empfängern i. S. d. § 53 AO zugutekommen. Gemäß AEAO Nr. 12 Satz 3 zu § 53 AO kann auf vorherigen Antrag des Steuerpflichtigen gegebenenfalls auf die Nachweispflicht verzichtet werden.
Die Ergänzung des AEAO zu § 67 AO berücksichtigt insbesondere das BFH-Urteil vom 18. Oktober 2017 – V R 46/16 (Abgabe von Faktorpräparaten), wonach für diejenigen Leistungen eine Zuordnung zum Zweckbetrieb Krankenhaus erfolgt, die typischerweise von einem Krankenhaus gegen Änderungen über seinen Patienten erbracht werden, soweit das Krankenhaus zur Sicherstellung seines Versorgungsauftrages von Gesetzes wegen zu diesen Leistungen befugt ist und der Sozialversicherungsträger die insoweit entstehenden Kosten trägt. Zudem wurde klargestellt, dass für die Beurteilung eines Krankenhauses als Zweckbetrieb allein § 67 AO maßgeblich ist und die Voraussetzungen des § 66 AO nicht zusätzlich erfüllt sein müssen. Die Vorgaben der Finanzverwaltung zum Nachweis der Angemessenheit der Gewinne, die für die Einrichtungen der Wohlfahrtspflege im Hinblick auf ein zweckbetriebsschädliches Erwerbsstreben gelten,
dürften somit unseres Erachtens nicht auf Krankenhäuser übertragen werden. Dies ist auch deshalb relevant, weil die Krankenhäuser nach § 67 AO gemäß AEAO Nr. 2 zu § 66 AO in die sogenannte wohlfahrtspflegerische Gesamtsphäre einzubeziehen sind.
Die Nrn. 5 bis 7 zu § 68 AO betreffen sowohl redaktionelle Anpassungen in Verweisen auf das Sozialgesetzbuch und die dortige Ersetzung des Begriffs „Integrationsprojekt“ durch „Inklusionsbetrieb“ als auch inhaltliche Änderungen. Letztere beziehen sich insbesondere auf die Einbeziehung von Beschäftigten mit Behinderung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens zwölf Stunden bei der Berechnung der maßgeblichen 40-%-Quote für die steuerliche Anerkennung eines Zweckbetriebs. Sollten Sie zu einer der oben dargestellten Änderungen oder weiteren Aspekten des AEAO Fragen oder Beratungsbedarf haben, sprechen Sie uns gerne an.