Im zugrunde liegenden Fall ging es um die Abberufung des Geschäftsführers von Hannover 96, Martin Kind, durch die Gesellschafterversammlung, obwohl nach dem Gesellschaftsvertrag der GmbH der Aufsichtsrat diese Entscheidung hätte treffen müssen. Die Gesellschafterversammlung fasste hier den Beschluss, den Geschäftsführer „mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses abzuberufen“. Gegen diesen Beschluss wehrte sich der Geschäftsführer mit der Begründung, dass unter anderem der Abberufungsbeschluss bereits nichtig sei.
Die Kompetenzverteilung innerhalb einer GmbH wird durch das Gesetz (§ 46 GmbHG) und den Gesellschaftsvertrag geregelt. Die Gesellschafterversammlung hat dabei eine zentrale Rolle, insbesondere bei der Abberufung von Geschäftsführern. Jedoch kann festgelegt werden, dass diese Aufgabe einem anderen Organ, etwa dem Aufsichtsrat, zugewiesen wird. Ein „satzungsdurchbrechender Beschluss“ liegt vor, wenn ein Beschluss gefasst wird, der von den Regelungen des Gesellschaftsvertrags abweicht, ohne dass dieser formell geändert wird. Solche Beschlüsse sind unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Wichtig ist dabei die Abgrenzung zwischen einer punktuellen Satzungsdurchbrechung und einer dauerhaften Veränderung der gesellschaftlichen Ordnung. Der BGH stellt in seinem Urteil klar, dass eine punktuelle Satzungsdurchbrechung möglich ist, wenn sie sich auf einen einmaligen, spezifischen Fall beschränkt und keine dauerhaften Änderungen in der Gesellschaftsstruktur bewirkt. Ein Beispiel hierfür ist die Abberufung eines Geschäftsführers durch die Gesellschafterversammlung, obwohl nach dem Gesellschaftsvertrag der Aufsichtsrat dafür zuständig ist. Solche Beschlüsse ändern nicht die grundsätzliche Zuständigkeitsverteilung in der Gesellschaft, sondern betreffen nur einen einmaligen Vorgang. Daher bedarf es hierzu keiner formalen Änderung. Anders ist dies bei Beschlüssen, die einen dauerhaften Zustand schaffen, der von den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags abweicht. Ein solcher Beschluss würde eine sogenannte "zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung" darstellen. Beispiele hierfür wären die dauerhafte Übertragung von Kompetenzen (z. B. Feststellung des Jahresabschlusses) oder die Einführung neuer Regelungen, die den Gesellschaftsvertrag grundlegend ändern (z.B. Aufhebung von begrenzten Amtszeiten). Solche Beschlüsse müssen die Formvorschriften (§§ 53 und 54 GmbHG) einhalten, das heißt, sie müssen notariell beurkundet und ins Handelsregister eingetragen werden. Ein weiteres Beispiel wäre eine geänderte Regelung, durch die die Gesellschafterversammlung dauerhaft die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers erhält. Dies würde eine substanzielle Änderung der bisherigen Organisationsstruktur der GmbH bewirken.
Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, ob der Beschluss der Gesellschafterversammlung, der gegen die Satzung verstieß, nichtig oder lediglich anfechtbar ist. Der BGH entschied, dass Beschlüsse, die gegen die Satzung verstoßen, in der Regel lediglich anfechtbar sind und nicht automatisch nichtig. Eine Nichtigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn der Beschluss grundlegende Prinzipien des Gesellschaftsrechts verletzt oder gegen die guten Sitten verstößt. Ein einfacher Verstoß gegen die in der Satzung festgelegte Kompetenzverteilung reicht hierfür nicht aus. Die Anfechtbarkeit bedeutet, dass betroffene Gesellschafter den Beschluss gerichtlich anfechten können, um ihn rückgängig zu machen. Wird eine solche Anfechtungsklage jedoch nicht rechtzeitig erhoben, bleibt der Beschluss gültig. Im vorliegenden Fall war die Kompetenzüberschreitung der Gesellschafterversammlung nicht so gravierend, dass sie eine Nichtigkeit des Beschlusses zur Folge hatte. Der BGH betonte, dass die Abberufung des Geschäftsführers durch die Gesellschafterversammlung mit den grundlegenden Prinzipien des GmbH-Rechts vereinbar ist, da die Gesellschafterversammlung nach dem Gesetz grundsätzlich zur Abberufung von Geschäftsführern befugt ist (§ 46 Nr. 5 GmbHG). Zur Anfechtung war der klagende Geschäftsführer im Übrigen nicht berechtigt.
Praxis-Hinweis
Das Urteil des BGH zeigt einmal mehr, dass nicht alle Verstöße gegen satzungsmäßige Kompetenzverteilungen nichtig sind. Nur wenn sie grundlegende Prinzipien der Gesellschaft verletzen oder sittenwidrig sind, kommt dies in Betracht. Satzungsdurchbrechende Beschlüsse sind hingegen zulässig, solange sie sich auf Einzelfälle beschränken und keine dauerhafte Änderung der gesellschaftlichen Struktur bewirken. Sie können lediglich angefochten werden. Dauert ein von der Satzung abweichender Zustand an oder verändert er dauerhaft die Zuständigkeiten innerhalb der Gesellschaft, ist eine formale Satzungsänderung erforderlich, die den gesetzlichen Anforderungen genügen muss. Die Entscheidung stärkt die Flexibilität der GmbH, setzt jedoch klare Grenzen, wenn es um die dauerhafte Abweichung von der Satzung geht. Gern unterstützen wir Sie bei der Vorbereitung Ihrer Beschlussfassung oder sonstigen Fragen zur konkreten Kompetenzverteilung in Ihrem Fall. Wir helfen Ihnen auch bei einer vielleicht erforderlichen Überarbeitung Ihres Gesellschaftsvertrags bzw. Ihrer Satzung. Sprechen Sie uns an.