Erneute Änderung des AEAO zu § 66 AO: Entschärfung des Kriteriums „nicht des Erwerbs wegen“ für Zweckbetriebe der Wohlfahrtspflege

Erste Erfahrungen mit den Neuregelungen zu § 66 AO und der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre

 

Mit Schreiben vom 6. Dezember 2017 hatte das Bundesministerium der Finanzen (BMF) den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 66 AO geändert und den neuen Rechtsbegriff der „wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre“ eingeführt. Die Wohlfahrtspflege darf nicht des Erwerbs wegen ausgeübt

Erste Erfahrungen mit den Neuregelungen zu § 66 AO und der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre

 

Mit Schreiben vom 6. Dezember 2017 hatte das Bundesministerium der Finanzen (BMF) den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 66 AO geändert und den neuen Rechtsbegriff der „wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre“ eingeführt.

Die Wohlfahrtspflege darf nicht des Erwerbs wegen ausgeübt werden. Eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege wird „des Erwerbs wegen“ betrieben, wenn damit Gewinne angestrebt werden, die den konkreten Finanzierungsbedarf des jeweiligen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs übersteigen, und die Wohlfahrtspflege somit in erster Linie auf Mehrung des eigenen Vermögens gerichtet ist. Dies soll nach Auffassung des BMF dann gegeben sein, wenn in drei aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen der erwirtschaftete Gewinn jeweils den konkreten Finanzierungsbedarf in der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre übersteigt.

In die wohlfahrtspflegerische Gesamtsphäre einzubeziehen sind die Zweckbetriebe der Wohlfahrtspflege (§ 66 AO), Krankenhäuser (§ 67 AO), die im Zweckbetriebskatalog nach § 68 AO aufgeführten Zweckbetriebe sowie ideelle Tätigkeiten, für die die Voraussetzungen des § 66 AO vorlägen, wenn sie entgeltlich ausgeführt würden, einzubeziehen. Eine Quersubventionierung defizitärer Einrichtungen innerhalb dieser Sphäre ist demnach unter den obenstehenden Voraussetzungen zulässig.

Die Abfrage des Ergebnisses in der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre und des konkreten Finanzierungsbedarfs erfolgt seitens der Finanzverwaltung seit dem Veranlagungszeitraum 2017 über die neu gefasste Anlage Gem in den Zeilen 32 bis 37, die nunmehr eine Anlage zur Körperschaftsteuererklärung darstellt. Bei der Ermittlung des konkreten Finanzierungsbedarfes dürfen die nach § 62 AO zulässigen Rücklagen und ein Inflationsausgleich in Ansatz gebracht werden. Die Berechnung der Ergebnisse in der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre und deren Finanzierungsbedarf ist seit der Veranlagung 2017 also notwendiger Bestandteil der Vorarbeiten zur Steuerdeklaration. Sofern alle unterhaltenen Zweckbetriebe der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre zugeordnet werden können, lässt sich das Gesamtergebnis vereinfachend retrograd aus dem Jahresergebnis nach Abzug des Ergebnisses in der Vermögensverwaltung und im steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ermitteln. Deutlich schwieriger stellt sich dagegen die Ermittlung bei komplexen Einrichtungen mit einem vielfältigen Leistungsangebot dar.

Zu beachten ist, dass die geforderten Angaben grundsätzlich der Überprüfung dienen sollen, ob ein Zweckbetrieb nach § 66 AO des Erwerbs wegen betrieben wird. Bei dauerdefizitären Zweckbetrieben nach § 66 AO stellt sich diese Frage also gar nicht. Gleichwohl erfordert das elektronische Formular für Zweckbetriebe nach § 66 AO zwingend eine Angabe. Auch für Körperschaften, die keinen Zweckbetrieb nach § 66 AO unterhalten, ist die Angabe obsolet. Der AEAO zu § 67 etwa stellt klar, dass für die Beurteilung eines Krankenhauses als Zweckbetrieb allein § 67 AO maßgebend ist und die Voraussetzungen des § 66 AO nicht zusätzlich erfüllt sein müssen. Die Rückfragen zu den Steuererklärungen 2018 zeigen jedoch, dass diverse Finanzämter die Angaben dennoch nachfordern. Dies untermauert unsere Befürchtung, dass zukünftig die Diskussion über unzulässig hohe Gewinne auch für andere Zweckbetriebe geführt werden könnte.

Praxis-Hinweise zu § 66 AO

In den bisherigen Betriebsprüfungen ist diese Thematik erst in wenigen Fällen aufgegriffen worden – womöglich weil zum einen für Jahre bis 2016 eine Nichtbeanstandungsregelung galt und zum anderen nur vereinzelt solch nennenswerten Überschüsse erwirtschaftet wurden, dass der tatsächliche Finanzierungsbedarf überstiegen wurde. Es ist jedoch zu erwarten, dass diese Thematik zukünftig stärker in den Fokus der Finanzverwaltung rückt, wenn erstmals die erforderlichen Angaben für drei aufeinanderfolgende Veranlagungszeiträume (2017 bis 2019) vorliegen. Dies sollte auch bei der Abgabe der Steuererklärungen 2019 im Auge behalten werden.

Entschärfung des Kriteriums „nicht des Erwerbs wegen“ für Zweckbetriebe der Wohlfahrtspflege

Erstellt von Karin Hellwig und Markus Rohwedder

Mit aktuellem Schreiben vom 6. Dezember 2017 - IV C 4-S 0185/14 / 10002:001, 2017/0979584, hat das Bundesministerium der Finanzen kurz vor Jahresende auf die umfassende Kritik seitens Verbände der Freien Wohlfahrtspflege an den Vorgaben zur Unzulässigkeit von Gewinnen und schädlicher Quersubventionierung reagiert. Der Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 66 AO wurde diesbezüglich nunmehr wieder weitestgehend entschärft. 

Bisherige Vorgaben der Finanzverwaltung seit 26. Januar 2016:

Nach Auffassung der Finanzverwaltung war es nicht zulässig, wenn Einrichtungen der Wohlfahrtspflege Gewinne anstrebten, die den konkreten Finanzierungsbedarf des jeweiligen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs überstiegen, oder durch diese Gewinne andere Zweckbetriebe nach §§ 65, 67, 67a und 68 AO oder der ideelle Bereich finanziert wurden. Gewinne im gewissen Umfang, z. B. zum Inflationsausgleich oder zur Finanzierung von Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen, wurden toleriert. Wir verweisen im Einzelnen auf unsere Solidaris-Sonderinformation von Juni 2016 (erhältlich auf Anfrage).

Diese sehr restriktive Auffassung der Finanzverwaltung ging auf die Veröffentlichung des sog. Rettungsdienst-Urteils (BFH vom 27. November 2013, I R 17/12) und das begleitende BMF-Schreiben vom 26. Januar 2016 zurück, das grundsätzlich ohne Übergangsregelung in Kraft getreten war. Hinsichtlich der schädlichen Quersubventionierung war für den Veranlagungszeitraum 2015 eine Nichtbeanstandungs-regelung erlassen worden. 

Daraus folgte für die Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, dass nicht nur eine Spartenrechnung für die vier Sphären „ideeller Bereich, Vermögensverwaltung, Zweckbetrieb und steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb“ aufzustellen war, sondern zudem sämtliche unterhaltenen Zweckbetriebe nach der einschlägigen Norm (§§ 65 bis 68 AO) zu klassifizieren waren. Für die Zweckbetriebe nach § 66 AO waren eigene Ergebnisse zu ermitteln, die auf ihre zulässige Höhe hin zu untersuchen waren. Darüber hinaus war zu überprüfen, ob die Gewinne zu einer unzulässigen Quersubventionierung des ideellen Bereichs oder von Zweckbetrieben nach §§ 65, 67, 67a und 68 AO verwendet wurden. Neben dem damit verbundenen hohen Verwaltungsaufwand und den Auslegungsfragen zur Höhe eines „noch zulässigen Gewinns“ führte dies insbesondere zu erheblichen Beschränkungen bei der Ergebnisverwendung bzw. Finanzierung von Zweckbetrieben anderer Zweckbetriebsnormen.

Neuregelung des Anwendungserlasses ab 6. Dezember 2017

Ab sofort ist nicht mehr auf jeden einzelnen Zweckbetrieb abzustellen, sondern das Ergebnis in der sog. „wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre“ zu betrachten. Hiervon sind sowohl Zweckbetriebe nach § 66 AO (Wohlfahrtspflege) und § 67 AO (Krankenhäuser) als auch nach § 68 AO (Katalog einzelner Zweckbetriebe) umfasst, sofern letztere die Voraussetzungen des § 66 AO erfüllen. Zudem ist nun auch die Quersub-ventionierung von ideellen Tätigkeiten zulässig, für die die Voraussetzungen des § 66 AO vorlägen, wenn sie entgeltlich ausgeführt würden.

Eine zweckbetriebsschädliche Erwerbsabsicht liegt nach der Neuregelung dann vor, wenn in drei aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen der erwirtschaftete Gewinn jeweils den konkreten Finanzierungsbedarf in der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre übersteigt. Dies kann allerdings widerlegt werden, beispielsweise durch unbeabsichtigte Gewinne aufgrund von Marktschwankungen. Auch Gewinne aufgrund behördlich festgelegter Preise – als Beispiel werden hier Gebührenordnungen nach Maßgabe des § 90 SGB XI (ambulante Pflegeleistungen) genannt - sind kein Indiz dafür, dass der Zweckbetrieb „des Erwerbs wegen“ unterhalten wird.

Schließlich stellt die Finanzverwaltung klar, dass bei der Ermittlung des konkreten Finanzierungsbedarfes der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre die nach § 62  Abs. 1 und 2 AO zulässigen Rücklagen berücksichtigt werden können. Damit können bei der Überprüfung der zulässigen Gewinnhöhe Betriebsmittelrücklagen, Projekt- und Investitionsrücklagen sowie Wiederbeschaffungsrücklagen in Ansatz gebracht werden. Die Nichtbeanstandungsregelung zur unzulässigen Quersubventionierung wird bis einschließlich zum Veranlagungszeitraum 2016 verlängert. 

Das neue BMF-Schreiben vom 6. Dezember 2017 finden Sie hier.

Fazit AEAO zu § 66 AO

Das Risiko der Aberkennung der Zweckbetriebseigenschaft für eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege auf Grund einer schädlichen Quersubventionierung oder zu hoher Gewinne dürfte nach den vorstehend genannten Regelungen deutlich verringert worden sein. Damit sind beispielsweise Ausgleiche von Defiziten in stationären Pflegeeinrichtungen der Alten-, Jugend- oder Behindertenhilfe (meist Zweckbetriebe nach § 68 AO) durch Gewinne in ambulanten Leistungsangeboten nach § 66 AO (z. B. ambulante Pflegestationen oder Betreutes Wohnen) wieder zulässig. Auch die Neuregelung, dass Überschüsse aufgrund behördlich festgelegter Preise im Sinne einer Gebührenordnung kein Indiz für eine Tätigkeit „des Erwerbs wegen“ darstellen, dürfte für eine erhebliche Erleichterung sorgen. Demnach müssten etwa auch Gewinne in Medizinischen Versorgungszentren, in denen ärztliche Leistungen nach vorgegebenen Gebührenordnungen abgerechnet werden, unschädlich sein. Hier bleibt abzuwarten, wie weit die Finanzverwaltung diese Regelung auslegen wird.

Vorsicht ist weiterhin geboten bei der Quersubventionierung von Zweckbetrieben nach § 65 AO (z.B. von sog. Sozialkaufhäusern, bei denen kein Nachweis zur Hilfsbedürftigkeit der Leistungsempfänger erbracht wird), da diese nicht der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre zugerechnet werden. 

Nach wie vor gilt: Sie sollten sämtliche unterhaltenen Zweckbetriebe nach der einschlägigen Zweckbetriebsnorm identifizieren und sich einen Überblick über deren Ertragslage und Finanzierungsstruktur verschaffen. Gerne stehen Ihnen die Berater der Solidaris bundesweit zur Verfügung.

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